50 Jahre Uniklinikum: OP durchs Schlüsselloch - der Anfang der Laparoskopie

50 Jahre Uniklinikum: OP durchs Schlüsselloch - der Anfang der Laparoskopie

Es war Ende der achtziger Jahre, als die Idee aufkam, dass man chirurgische Eingriffe weniger belastend für den Patienten ausführen könnte: Mit kleinen Schnitten, durch die ein Endoskop zum Schauen und weitere Geräte zum Operieren eingeführt werden. Aber der Anfang dieser Laparoskopie, die heute zur chirurgischen Standard-Technik zählt, war holprig: „Ich erinnere mich noch gut an einen Kongress hier in München, bei dem ein Böblinger Chirurg die Idee äußerte, mittels eines laparoskopischen Eingriffs zu operieren.“ Revolutionär war das, viel zu revolutionär und kam überhaupt nicht gut an: „Der wurde von den Altvorderen völlig abgebürstet“, berichtet Prof. Hubertus Feußner, heute einer der führenden Spezialisten auf diesem Gebiet. Feußner war zu dieser Zeit noch jung, mit wenig Berufserfahrung, aber der Böblinger Chirurg hatte etwas in ihm angestoßen.

Während die Chirurgen hierzulande nach wie vor den Bauchschnitt für die einzige Möglichkeit hielten, um etwa die Gallenblase zu entfernen, versuchte sich kurz nach dem Böblinger Vorstoß ein Franzose an der Schlüssellochtechnik, „mit viel Tamtam und PR“, erinnert sich der Professor. Die Amerikaner griffen die Idee auf und über diesen Umweg kam sie auch wieder nach Deutschland.

Das Klinikum Rechts der Isar als Vorreiter

„Wir gehörten zu den ersten hier im süddeutschen Raum, die die neue Technik ausprobiert haben“, erklärt Chirurg Feußner. Das lag nicht zuletzt daran, dass das Umfeld stimmte: Denn die Bauchspiegelung wurde im Klinikum rechts der Isar zu diagnostischen Zwecken schon länger angewandt. Feußner wollte nun also auch laparoskopisch operieren, aber er bekam starken Gegenwind. „Der ehemalige Lehrstuhlinhaber, Prof. Siewert, war sehr skeptisch und hat alles mit Argusaugen beobachtet. Ein einziger Fehler hätte das Aus bedeutet“, berichtet der Mediziner.

Zu Hilfe kam den Schlüsselloch-Befürwortern, dass sich diese Methode schnell in der Öffentlichkeit herumsprach und auch viele sehr prominente Patienten kamen, weil sie sich genau solch eine Behandlung wünschten. Wenig Belastung, kaum Narben – die Idee war bestechend. Mit der steigenden Nachfrage erhöhte sich auch die Akzeptanz – die laparoskopische Gallenblasenentfernung hatte sich durchgesetzt. Als führendes Zentrum boten die Schlüsselloch-Pioniere alsbald Kurse für Chirurgen anderer Krankenhäuser an.

Laparoskopie Mitte der 90er Jahre

Die Entwicklung der Arbeitswerkzeuge

Doch wie kamen die ersten Operateure überhaupt an ihr OP-Werkzeug? „Ursprünglich haben wir mit Gerätschaften angefangen, die in der Gynäkologie und der inneren Medizin für diagnostische Zwecke gebraucht wurden“, erklärt Hubertus Feußner. Das war ziemlich problematisch, diese jetzt therapeutisch zu nutzen. „Wir brauchten leistungsfähige CO2-Pumpen, um den Bauchraum mit Gas zu füllen.“ Aber die ersten Pumpen, die ihnen zur Verfügung standen, schafften nur einen Liter pro Minute – genug, um sich einen schnellen Überblick zu verschaffen, aber nicht für mehr. „Bei jedem Instrumentenwechsel entwich das Gas und alles fiel wieder in sich zusammen. Wir mussten also ständig Pause machen und warten, bis wieder genug Gas im Bauchraum war.“ Die Rettung kam, als Feußner einen Büchsenmacher als Patienten hatte. „Er fertigte mir die Modelle für Instrumente nach meinen Vorstellungen, später hat die Industrie die Fertigung übernommen.“

Es entstand eine enge Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Maschinenwesen der TUM, und der Chirurg konnte auch die Nähe der vielen medizintechnischen Firmen im Tuttlinger Raum nutzen. Enge Kontakte mit der Industrie entwickelten sich und so wurde die Technik, die für laparoskopische Eingriffe gebraucht wurde, sehr schnell weiterentwickelt.

Laparoskopie heute

Am Anfang wurde nur die Gallenblase minimalinvasiv entfernt, doch mittlerweile werden ganz selbstverständlich Eingriffe am Dickdarm, Magen, Milz und auch Eingriffe an der Speiseröhre laparoskopisch durchgeführt. „Es konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse solcher Eingriffe mindestens so gut sind wie bei der konventionellen Chirurgie. Gleichzeitig sind sie wesentlich schonender für den Patienten“, so Feußner. Bei Tumorleiden ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen, aber laparoskopische Eingriffe z. B. bei Dickdarmkrebs werden immer verbreiteter.

Chirurgie 4.0

Selbstverständlich geht die Entwicklung in der Chirurgie immer weiter. „Weg von der Kunst, hin zur Wissenschaft“, drückt Hubertus Feußner seine Hoffnung aus. Es sind die neuen Akzente, die durch mechatronische Assistenzsysteme gesetzt werden, die Feußners Visionen beflügeln. „Noch sind OP-Roboter, wie zum Beispiel DaVinci, keine Wunderwaffen“, ist sich der Wissenschaftler klar. „Aber wir erleben im Moment einen wichtigen Entwicklungstrend: Wir wollen Maschinen entwickeln, die aktiv kooperieren.“

Feußner sieht die Zukunft in der evidenzbasierten Chirurgie: Die Maschinen sollen lernen, damit sie bei einer Operation wissen, welcher Schritt wahrscheinlich als nächstes kommt. Für den Einsatz solcher mitdenkenden Maschinen nennt Feußner mehrere Beispiele:

  • Etwa die bestmögliche Auslastung der OP-Räume. „Eigentlich kommt im OP-Ablauf der nächste Patient immer entweder zu früh oder aber zu spät, selten genau richtig.“ Wenn nun eine Maschine die Abläufe einer Operation kennt, dann wäre es möglich, an einem bestimmten Punkt einen Marker zu setzen. Sozusagen als Erinnerer, den nächsten Patienten zu bestellen. „Das wäre ein kleiner Mosaikstein, um die Abläufe im OP effizienter zu gestalten.“
     
  • Ein weiteres Einsatzgebiet könnte die Entlastung des Assistenzpersonals sein: „Wir haben am Tisch nicht immer die hochspezialisierten Kräfte, die genau wissen, welches Instrument als nächstes nötig ist. Das führt zu Unsicherheiten und Verzögerungen.“ Kennt ein System den Workflow einer Operation, dann kann auf einem sterilen Display immer das nächste Instrument angezeigt werden: „Bei Standard-Operationen probieren wir das schon aus. Das Gerät schlägt die nächsten Geräte analog zu dem bisher Erfahrenen vor und listet die wahrscheinlichsten Möglichkeiten der Reihe nach auf.“
     
  • Auch lästige und zeitraubende Aufgaben könnten abgenommen werden, etwa das Knoten: „Eine Maschine könnte sowas gut erledigen.“ Und der Visionär fügt hinzu: „Das ist nicht Jules Verne, sondern durchaus denkbar.“

Doch wer entwickelt all das? „Wir haben 1999 hier an der TUM das MITI gegründet.“ MITI steht für „Minimal-invasive Interdisziplinäre Therapeutische Intervention“ und ist quasi die Brutstätte für innovative Entwicklungen ganz im Sinne der evidenzbasierten Chirurgie, der Chirurgie 4.0. Es ist ein enger Schulterschluss von Ingenieuren, Informatikern und Medizinern unter dem Dach der Technischen Universität – mit viel Potential für Innovatives.

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