Bakteriophagen – natürliche Bakterienjäger

Bakteriophagen – natürliche Bakterienjäger

Antibiotika-Resistenzen sind eine große Herausforderung für die globale Gesundheit. Bakteriophagen also Viren, die Bakterien zielgerichtet bekämpfen, können eine Alternative insbesondere bei der Behandlung multiresistenter Keime werden. Um solche innovativen Therapien in Zukunft für Patientinnen und Patienten möglich zu machen, hat der Arbeitskreis Gesundheit und Pflege der CSU-Landtagsfraktion eine Arbeitsgruppensitzung zur Phagentherapie einberufen. Wir sprachen mit einer der dort eingeladenen Expertinnen, Dr. Silvia Würstle, Assistenzärztin am Klinikum rechts der Isar, ob Bakteriophagen die neue Wunderwaffe gegen Bakterien werden können und warum sie bisher immer noch ein Nischenthema sind.

 

Was sind Bakteriophagen und wie unterscheidet sich ihre Wirkung von Antibiotika?

Bakteriophagen sind die „guten“ Viren, die Bakterien infizieren. Durch Spezialisierung auf ihre bakteriellen Wirte tragen sie zur Aufrechterhaltung des mikrobiellen Gleichgewichts in der Natur bei. Sie sind in Natur und auch in und auf uns Menschen allgegenwärtig und mit etwa 1031 - also eine Zahl mit 31 Nullen! - in größerer Zahl vorhanden als jeder lebende Organismus. Als biologische hocheffiziente Killer-Maschinen injizieren sie ihr Erbgut in die jeweiligen Wirtsbakterien und zwingen diese, eine große Anzahl von Bakteriophagen zu produzieren und dabei zugrunde zu gehen. Das ist auch der entscheidende Unterschied zu Antibiotika: Bakteriophagen greifen hochspezifisch ausschließlich ihr Wirtsbakterium an und verschonen die vielen für uns guten Bakterien beispielsweise im Darm. Gleichzeitig vermehren sich Bakteriophagen an Ort und Stelle der Wirtsbakterien bis diese abgetötet sind. Zusammengefasst ist die Wirkungsweise der Bakteriophagen effizient, hochspezifisch und selbstlimitierend.

 

Wie funktioniert die Bakteriophagen-Therapie?

Zunächst wird das Bakterium aus dem Infektionsort isoliert. Da Bakteriophagen hochspezifisch sind, wird die genaue Zuordnung von Bakteriophage zu Bakterium in einem mikrobiologischen Labor bestimmt. Dies kann ein bis zwei Wochen dauern. Im nächsten Schritt ist es wichtig, hohe Sicherheits- und Qualitätsstandards für die Bakteriophagen-Aufbereitung einzuhalten. Bakteriophagen selbst haben bisher keine starken unerwünschten Nebenwirkungen gezeigt, aber wir stellen sicher, dass die Rückstände von Bakterien unter einem von der EU festgelegten Grenzwert liegen. Bei der Verabreichung von Bakteriophagen wird die antibiotische Therapie der Patientin oder des Patienten nicht verändert, da es sich derzeit nur um eine zusätzliche, d. h. additive, Anwendung handelt. Ein hohes Maß an Monitoring während und nach der Therapie wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfohlen.

 

Sind Bakteriophagen die neue Wunderwaffe gegen antibiotikaresistente Bakterien?

Ein klares Nein. Zum einen ist die Phagentherapie nicht neu. Nach ihrer Entdeckung wurden die Bakteriophagen in den 1920er Jahren erfolgreich gegen z. B. Cholera, Pest und Staphylokokken-Infektionen eingesetzt. Mit der Entdeckung der Antibiotika traten die Bakteriophagen in der westlichen Welt in den Hintergrund, da es einfacher ist, Antibiotika herzustellen, zuzulassen, zu lagern und zu verschreiben. Daher ist auch unser Wissen über Bakteriophagen geringer als über Antibiotika und es besteht ein großer Forschungsbedarf in diesem Bereich.

Zum anderen sind Bakteriophagen keine Wunderwaffe. Es gibt Phagentherapie-Zentren, die von einer Heilungsrate von über 90 Prozent sprechen. Auch wenn ich bisher nur positive Verläufe von Bakteriophagen-Anwendungen miterleben durfte, kann ich eine so hohe Heilungsrate nicht nachvollziehen. Hinzu kommt, dass es trotz großer Anstrengungen in den letzten zehn Jahren weltweit noch niemandem gelungen ist, einen Bakteriophagen als Arzneimittel zuzulassen, u. a. weil die Kosten für die Zulassung dieses biologischen Produkts immens sind für ein Medikament, das aufgrund seiner hohen Spezifität vielleicht nur einer Handvoll Menschen helfen kann und schwer über einen langen Zeitraum stabil zu lagern ist. Die EU hat sich gegen eine übergreifende Zulassung der ganzen Gruppe von Bakteriophagen ausgesprochen, da sie sehr heterogen ist. Erfreulicherweise gibt es EU-weite Bestrebungen, unterstützt von Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dem Paul-Ehrlich Institut und vielen weiteren Institutionen, die Phagenproduktion in Apotheken individuell nach Verordnung eines Arztes zu erlauben, so wie es in Belgien schon der Fall ist.

 

 

Dr. Silvia Würstle (Mitte) mit einem Patienten während seiner inhalativen Phagentherapie an der Yale University in den USA.

Momentan existieren nur wenige Zentren weltweit, die eine Phagentherapie anbieten. Warum ist das trotz der steigenden Antibiotika-Resistenzen immer noch ein Nischenthema?

Richtig, es gibt bisher nur wenige Phagentherapie-Zentren, etwa in den USA und in Georgien. Dort werden Phagentherapien gegen verschiedenste Infektionen angeboten, zum Beispiel bakterielle Infektionen der Atem- oder Harnwege, infizierte Hautwunden und orthopädische Prothesen- oder Herzschrittmacher-Infektionen. 2022 durfte ich viele Fälle in einem der größten Zentren weltweit, an der Yale University in den USA, begleiten und die Abläufe von Phagenisolierung über Aufreinigung und Verabreichung bis zur Überwachung und Nachsorge begleiten. Ein wichtiger Grund, warum die Phagentherapie ein Nischenthema ist, liegt darin, dass den Ärztinnen und Ärzten, die aktuell die Phagentherapie in Deutschland anwenden, keine offiziellen Leitlinien zur Verfügung stehen. Unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und unter der Leitung von Prof. Maria Vehreschild dürfen wir derzeit gemeinsam mit vielen Fachgesellschaften die erste S2k-Leitlinie zur Phagentherapie erstellen und hoffen, diese bereits Ende 2023 fertigstellen zu können. Darüber hinaus informiere ich Mikrobiologien, virologische Labore und Apotheken in Deutschland über die Vorgehensweisen einer hochqualitativen und sicheren Phagenproduktion, die ich an der Yale University erlernen durfte.

 

Wie aktiv ist die Technische Universität München beim Thema der Phagentherapie?

Der größte international renommierte Erfolg aus Deutschland für die Phagentherapie kommt von der TU München: Invitris, ein Start-up, konnte sich letztes Jahr mit einem einzigartigen Herstellungsverfahren als Unternehmen ausgründen. Eine universelle Plattformtechnologie ermöglicht die Herstellung von synthetischen Bakteriophagen mit höchster Ausbeute und Reinheit. Besonders erwähnenswert ist, dass dieses Start-up der TU München mit seiner patentierten Technologie weltweit führend ist.

 

Welchen Stellenwert geben Sie der Phagentherapie in zehn Jahren?

In den nächsten zehn Jahren wird die Präzisionsmedizin in der Gesundheitsversorgung an Bedeutung gewinnen und die Antibiotikaresistenz-Pandemie wird sich global weiter verschärfen. Auch für Entwicklungsländer könnten die allgegenwärtigen Bakteriophagen eine gute Möglichkeit sein, wenn teure Antibiotika nicht verfügbar sind. Ich könnte mir aber auch an einen gezielten Einsatz in der Nutztierhaltung, Landwirtschaft und nachhaltigen Abwasserbehandlung vorstellen, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Bakteriophagen werden bereits in der Lebensmittelindustrie eingesetzt, um bakteriellen Kontaminationen mit beispielsweise Salmonellen vorzubeugen, und auch hier könnte der Stellenwert von Bakteriophagen in den nächsten Jahren zunehmen. In der Biotechnologie gibt es unzählige potenzielle Einsatzmöglichkeiten der hochspezifischen Bakteriophagen, zum Beispiel als Biosensor.

Im Phagenkonsortium ist unser langfristiges Ziel das Folgende: Dass Ärztinnen und Ärzte in ganz Deutschland ohne Verzögerung eine qualitativ hochwertige Phagentherapie anbieten können, wenn die Antibiotikatherapie versagt.

 

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