Irren ist ärztlich?

Irren ist ärztlich?

Podiumsdiskussion zur Fehlerkultur in der Medizin: Fehler sind menschlich, auch Ärzte sind nur Menschen. Dennoch tun sie sich besonders schwer, Fehler zuzugeben und daraus zu lernen. Welche Gründe es dafür gibt und wie auch Ärzte sich ändern können, diskutieren Mediziner, Patienten, Soziologen und Juristen am 20. November um 18 Uhr im Hörsaal B des Klinikum rechts der Isar. 

 

Moderiert wird die Podiumsdiskussion von Prof. Eckhard Frick, dem Leiter der Forschungsstelle für Spiritual Care am Klinikum rechts der Isar. Die Forschungsstelle beschäftigt sich mit den spirituellen Bedürfnissen von Patienten und Mitarbeitern. Prof. Frick ist nicht nur Theologe, sondern auch Facharzt für Psychosomatik und für Psychiatrie sowie ausgebildeter Psychoanalytiker. Im Vorab-Interview erklärt er, warum irren ärztlich sein kann und wie Unikliniken zu einer besseren Fehlerkultur finden. 

 

Herr Prof. Frick, ist irren ärztlich?

Eckhard Frick: Ärzte sind auch nur Menschen, und Menschen machen nun mal Fehler. Unter Medizinern ist es jedoch nach wie vor ein Tabu, Fehler zu machen und zuzugeben. Das hängt einerseits mit dem eigenen Anspruch von Ärzten zusammen, die natürlich alle exzellente Medizin machen wollen. Andererseits wird es durch die rechtliche Situation erschwert, dass Ärzte mit Schadenersatzklagen rechnen müssen, sobald sie über eigene Fehler sprechen. Daher bewegen wir uns hier in einem Schattenbereich, der nicht offen thematisiert wird.

 

Warum sind ärztliche Fehler noch immer ein Tabu?

Eckhard Frick: Es gibt verschiedene Faktoren, die zu diesem Tabu beitragen: Erstens haben wir es in der Medizin traditionell mit hierarchischen Strukturen zu tun, in denen Vorgesetzte eher mit Tadel als mit Unterstützung auf Fehler reagieren. Dazu kommt der sogenannte „Sündenbock-Mechanismus“, um Fehler zu „entsorgen“, die sich nicht vermeiden lassen. Innerhalb einer Gruppe schiebt man den Fehler auf eine Person und ist so das Problem los, ohne sich wirklich damit zu beschäftigen.
Ein weiterer Mechanismus ist das, was wir „sekundäre Viktimisierung“ nennen. Dadurch wird auch der zum Opfer, der einen Fehler macht. Primäres Opfer ist der Patient, der durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden kommt. Im zweiten Schritt wird derjenige zum Opfer, der den Fehler begangen hat. Da ein offener Umgang damit nicht möglich ist, schämt er sich und hat in der Zukunft Angst davor, weitere Fehler zu begehen. Er agiert nur noch defensiv, versucht sich nach allen Richtungen abzusichern und blockiert damit jeglichen Fortschritt. Damit wird er richtig gefährlich für seine Patienten.

 

Was muss geschehen, damit sich etwas verändert?

Eckhard Frick: Das System Krankenhaus und insbesondere die Uniklinik braucht eine andere Art von Fehlerkultur. Wegen der bestehenden Tabus haben wir einen großen Nachholbedarf. Dabei können wir viel aus anderen Branchen lernen, zum Beispiel aus der Luftfahrt, wo der Umgang mit Fehlern regelmäßig trainiert wird. Es gibt heute Bestrebungen, um bereits im Medizinstudium eine andere Feedbackkultur zu etablieren. Die Studierenden sollen lernen, eher beschreibend und korrigierend zu reagieren als zu kritisieren. Gleichzeitig muss jedoch an verschiedenen Stellen angesetzt werden, um den Arbeitsalltag im Krankenhaus zum Positiven zu verändern:

  1. Wir brauchen mehr Empathie füreinander. Kollegen und Vorgesetzte müssen Verständnis für Fehler aufbringen.

  2. Supervision: In den psychosozialen Bereichen wird Supervision häufig eingesetzt. Es wäre jedoch für alle Mediziner sinnvoll, im Rahmen einer Supervision auf Augenhöhe einen Vorgang gemeinsam zu betrachten und zu besprechen.

  3. Pausen: Als Unterbrechung der allgemeinen Routine und des Arbeitsdrucks haben Pausen eine wichtige Funktion, um Dinge zu reflektieren. Besonders in der Medizin, wo die Mitarbeiter ständig unter hohem Zeitdruck stehen, kann der sprichwörtliche Schritt zurück einen neuen Blick auf Störungen im Team ermöglichen. Solche Störungen können sich z. B. in häufigem Kranksein oder in schlecht gelaunten Mitarbeitern äußern und sind oft die Ursache für Fehler.

  4. Selbsthilfeprinzip: Im Krankenhaus sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder mit Situationen konfrontiert, die sie psychisch belasten oder überfordern. Das können Todesfälle sein oder schwierige Situationen im Umgang mit Patienten. Hier kann ein Debriefing-Gespräch mit Kollegen hilfreich sein. Damit solche einfachen Maßnahmen funktionieren, müssen sie jedoch in die Team-Routine eingebaut werden.

 

Alle diese Maßnahmen kosten Zeit, die im Klinikalltag sowieso schon Mangelware ist. Wie realistisch sind solche Veränderungen?

Eckhard Frick: Diese Kritik kommt natürlich sofort, wenn ich entsprechende Vorschläge mache. Ich bin allerdings überzeugt, dass man sehr viel Zeit einsparen könnte, wenn man durch etwas Abstand bestimmte Abläufe verbessern würde. So ließe sich die Qualität der Arbeit steigern und damit würden viele Maßnahmen überflüssig, die nur aufgrund von Fehlern nötig sind.
Wichtig ist, dass Veränderungen der Fehlerkultur gleichzeitig von oben und unten, also vom Vorstand und aus dem Team angestoßen werden. Es reicht nicht, wenn Maßnahmen von oben „aufgepfropft“ werden. Der Umgang mit Fehlern muss innerhalb eines Teams etabliert werden, die Mitarbeiter müssen aufeinander eingehen und eine Basis für ihre Zusammenarbeit schaffen. Ein gutes Beispiel ist das Team-Time-out eines OP-Teams. Dabei nimmt sich das Team für eine kurze Zeitspanne aus der Routine und verschafft sich Abstand. Damit können Fehler wie Patientenverwechslungen, Operationen auf der falschen Körperseite und ähnliches vermieden werden.

 

Was kann man tun, um im Klinikalltag solche Veränderungen nachhaltig zu verankern?

Eckhard Frick: Wir arbeiten daran, den Studierenden eine neue Fehlerkultur beizubringen. Sehr positiv ist in diesem Zusammenhang das Simulationszentrum, in dem die künftigen Mediziner schwierige Situationen üben können und auch lernen, ihren Mitstudierenden Feedback zu geben. Doch es reicht nicht aus, nur bei den Studierenden anzusetzen. Sonst lernen diese zwar in der Ausbildung einen neuen Umgang mit Fehlern, stellen aber im Arbeitsalltag fest, dass in der Realität andere Muster dominieren.
Natürlich ist es in großen Strukturen wie einem Uniklinikum schwierig, die Kultur zu verändern. Einfacher ist es, in einzelnen Abteilungen anzusetzen. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitarbeiter etwas verändern wollen. Der Umgang mit Fehlern muss als Teil der Fachkompetenz und als Beitrag zur Effizienz gesehen werden, das ist wichtig. Nicht als Sahnehäubchen, das man auch mal weg lassen kann.

Gute Erfahrungen gibt es mit Balint-Gruppen, die etwa in der Psychotherapie etabliert sind. Dabei handelt es sich um eine Methode der Organisationsentwicklung, die aus der Psychoanalyse kommt. Der Hintergrund dabei ist, dass in allen Institutionen neben dem, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahrnehmen, ein großer Bereich existiert, der ihnen nicht bewusst ist. In den entsprechenden Gruppen berichtet jemand von einem Problem, die anderen Gruppenmitglieder ergänzen, was bisher nicht erwähnt wurde, was auf der Beziehungsebene los sein könnte etc. Dadurch bekommen die Teilnehmer ein rundes Bild der Situation und können gemeinsam Lösungen entwickeln.

 

Welche konkreten Empfehlungen haben Sie für den Klinikalltag?

Eckhard Frick: Natürlich sollen im Interesse der Patienten Fehler so selten wie möglich vorkommen. Andererseits sind Irrtümer unvermeidlich. Eine gute Maßnahme ist etwa das Critical Incident Reporting System (CIRS), das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Klinikum rechts der Isar zur Verfügung steht. Das ist ein System zur anonymen und sanktionsfreien Meldung von kritischen Ereignissen und Beinahe-Fehlern. Ziel ist es, dem Einzelnen und ganzen Behandlungsteams eine Hilfestellung an die Hand zu geben.

 

Kennen Sie Beispiele von Kliniken, wo eine andere Fehlerkultur gelebt wird?

Eckhard Frick: Im Albertinen-Krankenhaus in Hamburg gibt es sogenannte EKS-Teams, die sich um „Existenzielle Kommunikation und Spiritualität“ kümmern. Jedes Team und jeder Mitarbeiter auf Station oder im OP kann sich kurzfristig die Unterstützung eines EKS-Team holen, wenn es etwa Schwierigkeiten mit einzelnen Patienten gibt oder Todesfälle zur Belastung werden. Dieses Angebot ist völlig neutral, es gibt dafür weder Belohnung noch Kritik. Ein solches Angebot muss vom Klinikvorstand eingeführt werden, damit es Erfolg haben kann.

 

Hier gelangen Sie zu unserer Veranstaltungsseite.

Hier können Sie sich den Flyer über die Podiumsdiskussion herunterladen.

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