Interdisziplinäres Team erforscht den Grenzbereich zwischen Sehne und Knochen

Interdisziplinäres Team erforscht den Grenzbereich zwischen Sehne und Knochen

Dem Geheimnis der Achilles-Ferse auf der Spur

Gehen, laufen, rennen – jede Bewegung des Fußes zerrt an der Achilles-Sehne. Bei Sprüngen kann die Belastung das Zehnfache des Körpergewichts betragen. Erstaunlicherweise hält die Verbindung zwischen Fersenbein und Achillessehne diesen enormen Kräften stand. Warum, das hat jetzt ein Team aus Medizinern, Physikern und Ingenieuren an der Technischen Universität München (TUM) herausgefunden: Zwischen Sehnen und Knochen entdeckten die Experten eine Gewebeschicht, die aus extrem dünnen Proteinfasern besteht und für eine sehr hohe Stabilität sorgt. Die Forschungsergebnisse können künftig Materialforschern helfen, Verbindungen zwischen festen und weichen Substanzen zu verbessern. Mediziner wollen sie nutzen, um neue Therapieverfahren zu entwickeln.

Verletzungen der Sehnen sind vor allem bei Sportlern häufig. Stürze oder starke Belastungen können zu Mikrorissen oder einer vollständigen Durchtrennung des Sehnengewebes führen. Besonders oft ist die Achilles-Sehne betroffen, die stärkste Sehne des menschlichen Körpers, die Fersenbein und Wadenmuskel verbindet. Benannt ist sie nach dem –  fast – unverletzbaren Helden Achilles, der durch den Schuss eines Pfeils in die Ferse sein Ende findet.

"Obwohl in der Orthopädie tagtäglich Patienten mit Sehnenverletzungen behandelt werden, wissen wir noch immer sehr wenig über den genauen feingeweblichen Aufbau am direkten Übergang von Sehne zum Knochen: Die biochemischen Vorgänge, die Mikromechanik, und Mikrostruktur des Gewebes sind bisher kaum erforscht", berichtet Prof. Rainer Burgkart, Oberarzt und Forschungsleiter der Klinik für Orthopädie an der TUM.

Dünne Fasern, perfekter Halt

Zusammen mit einem interdisziplinären Team aus Biochemikern und Biophysikern der TUM hat der Mediziner jetzt das Geheimnis der Achillessehne entschlüsselt: Diese kann Belastungen bis zu 800 Kilogramm standhalten – das entspricht etwa dem Zehnfachen des durchschnittlichen Körpergewichts. Sportler können daher über Hürden laufen, hohe Sprünge und harte Landungen machen, ohne dass die Verbindung zwischen Sehne und Fersenbein Schaden nimmt. Tatsächlich reißt eher die Sehne, als dass sich die Verbindung zum Knochengewebe löst. 

Die Untersuchungen der Münchner Forscher, die in der Fachzeitschrift Nature Materials veröffentlicht wurden, zeigen: Verantwortlich für die Stabilität ist ein komplexer Übergangsbereich. Die beiden Doktoranden und Erstautoren der Studie erklären: "Zwischen Sehne und Knochen gibt es einen Übergangsbereich, in dem sich die parallel verlaufenden dickeren Sehnenfasern in Dutzende von feinen Fasern mit einer ganz charakteristischen biochemischen Zusammensetzung aufdröseln", so Lara Kuntz. Leone Rossetti ergänzt: "Die geometrische Anordnung der dünnen Fasern ermöglicht, dass die Kräfte am Übergangsbereich effizient von der Sehne auf den Knochen übertragen werden".

Methoden aus Ingenieurwissenschaften und Medizin

Entdeckt wurden sie durch einen neuen, interdisziplinären Forschungsansatz: "Die eigentliche Innovation der Arbeit liegt darin, dass wir verschiedene medizinische, physikalische und ingenieurwissenschaftliche Verfahren kombiniert haben", so Prof. Andreas Bausch, Inhaber des Lehrstuhls für Zellbiophysik. Ein Stück Schweineknochen mit Sehne, von den Medizinern sorgfältig präpariert, wurde am Lehrstuhl für Zellbiophysik in eine Apparatur eingespannt und fixiert. Dann richteten die Forscher das Mikroskop auf die Grenzschicht, entlang derer die Sehne mit dem Knochen verwachsen ist. Mit Hilfe einer Multiskalen-Mikroskopie-Technik wurden Dutzende von Aufnahmen erstellt und digital zu einem großen Bild zusammengeführt. "Auf diese Weise konnten wir die Struktur der feinen, aufgespleißten Fasern sichtbar machen", berichtet Bausch.

Im nächsten Schritt setzte das Team fluoreszierende Antikörper ein, die bestimmte Proteine zum Leuchten bringen. Hier zeigte sich, dass die dünnen Fasern eine andere biochemische Zusammensetzung haben als die eigentliche Sehne. Im dritten Teil des Experiments bewegten die Forscher die Sehne unter Belastung hin und her und filmten dabei die Fasern. Das Ergebnis: Je nach  Belastungsrichtung werden unterschiedliche Fasern aktiviert und stabilisieren den Kontakt.

Ergänzt wurden die lichtmikroskopischen Untersuchungen durch Elektronenmikroskopie. Diese erlaubt die Erstellung besonders hochauflösender Bilder. Am Lehrstuhl für Medizinische Biophysik setzten die Spezialisten außerdem einen hochauflösenden Mikro-Computertomographen ein, mit dem sich die Grenzregion dreidimensional darstellen ließ. In Kooperation mit Forschern des Lehrstuhls für organische Chemie wurden die unterschiedlichen Proteine in Sehnen und Übergangsfasern charakterisiert.

Ansätze für die Medizin der Zukunft

"Die Ergebnisse erlauben uns erstmals, die biochemischen und biomechanischen Prozesse in der Kontaktzone zwischen Knochen und Sehne zu verstehen, die für unseren Bewegungsapparat essentiell sind", resümiert Burgkart. Mögliche Anwendungen ergeben sich in der Materialforschung und Medizin: Dank der neuen Erkenntnisse können Ingenieure innovative Verbindungen zwischen festen und weichen Stoffen herstellen. Orthopäden können die Ergebnisse möglicherweise zukünftig in der Tumorchirurgie einsetzen, um Sehnen an Implantaten zu refixieren.

Publikation:
Rossetti L, Kuntz LA, Kunold E, Schock J, Müller KW, Grabmayr H, Stolberg-Stolberg J, Pfeiffer F, Sieber SA, Burgkart R, Bausch AR. (2017) The microstructure and micromechanics of the tendon-bone insertion. Nature Materials, doi:10.1038/nmat4863.

Das Projekt wurde durch die DFG-Exzellenzförderung im Rahmen eines interdisziplinären Projektes der International Graduate School of Science and Engineering (IGSSE) gefördert.

Ansprechpartner:

Medizin:
Prof. Dr. Rainer Burgkart
Forschungsleiter der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar, TUM

Physik:
Prof. Dr. Andreas Bausch
Lehrstuhl für Zellbiophysik, TUM, Garching

Bildunterschriften:

1: Professor Rainer Burgkart und Doktorandin Lara Kuntz am Mikroskop. (Foto: TUM)
2: Immunfluoreszenzaufnahme des Achillessehnen-Knochen Ansatzes. Der Übergangsbereich zwischen Sehne und Knochen (hier in Gelb) weist eine hoch-komplexe charakteristische Geometrie und Zusammensetzung auf. (Bild: TUM)

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