10 Jahre Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung

10 Jahre Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung

Seit 1. Juli 2009 gibt es in Bayern einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin. Lehrstuhlinhaber und Leiter des gleichnamigen Instituts wurde Prof. Antonius Schneider. In zehn Jahren Aufbauarbeit hat das Fach deutlich an Profil gewonnen und sich einen festen und anerkannten Platz in der Fakultät für Medizin der Technischen Universität München (TUM) erobert.

Prof. Schneider

Prof. Dr. Antonius Schneider, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München (©Astrid Eckert, TUM)

Wie sehr die Einrichtung eines Lehrstuhls ein Fach beflügeln kann, zeigt das Beispiel der Allgemeinmedizin in Bayern. Dort hat die Fakultät für Medizin der TUM am 1. Juli 2009 einen von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern und der AOK geförderten Stiftungslehrstuhl eingerichtet. Die Finanzierung war zunächst für sechs Jahre befristet, seit Juni 2015 ist der Lehrstuhl institutionalisiert als Teil der TUM – und auch in Erlangen-Nürnberg, Würzburg und der LMU München gibt es inzwischen entsprechende Lehrstühle.

Mit dem Lehrstuhl und damit dem Auftrag, die Akademisierung der Allgemeinmedizin sowohl in der Forschung als auch in der Lehre voranzubringen, wurde der in Heidelberg habilitierte Antonius Schneider betraut. „Die Allgemeinmedizin, diese alte Disziplin, wurde über Jahre wenig untersucht. In der Gesellschaft wurde wenig wertgeschätzt, wie viel Wissen und Wissenschaftlichkeit dahintersteckt. Das sind die Schätze, die gehoben und akademisch verankert werden müssen“, sagt er.

Eines seiner obersten Ziele: Durch den Aufbau einer strukturierten Lehre das Fach in die öffentliche Wahrnehmung rücken, um dessen Attraktivität bei Studierenden zu erhöhen. Schneider sorgte dafür, dass die Allgemeinmedizin in allen klinischen Semestern vertreten ist. Es entstanden Publikationen am Lehrstuhl, Doktorarbeiten und Promotionspreise wurden vergeben. Das Blockpraktikum wurde auf zwei Wochen verlängert und das Lehrärzte-Netzwerk von 120 auf 220 Mitglieder aufgestockt. Als Leitfaden bekamen die Studierenden ein strukturiertes Logbuch an die Hand. Auch das Praktische Jahr wurde ausgebaut und professionalisiert. „Als ich hier anfing, machte im Schnitt ein Student pro Jahr sein Praktisches Jahr (PJ) in der Allgemeinmedizin, heute sind es 20“, so Schneider. „Und wir sehen, dass dank der strukturierten Lehrinhalte zunehmend mehr PJler der Allgemeinmedizin treu bleiben.“

Mit Unterstützung des Bayerischen Gesundheitsministeriums und gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen startete zudem im vergangenen Herbst das Projekt „Beste Landpartie Allgemeinmedizin“ (BeLa). Es sieht hausärztliche Ausbildungskonzepte in sieben ländlichen Regionen Bayerns vor. Ziel ist es, Studierende langfristig an das Fach heranzuführen, zu binden – und ihnen gleichzeitig die Arbeit in einer ländlichen Region schmackhaft zu machen. Teilnehmer müssen sich verpflichten, den Facharzt für Allgemeinmedizin abzuschließen. Im Gegenzug erhalten sie sehr viel praktische Lehre plus eine monatliche Unterstützung von 600 Euro. Die fünfjährige Facharztausbildung erfolgt nach einem festen Plan in ausgesuchten Land-Kliniken und Hausarztpraxen. Nach dem Abschluss der Facharztprüfung kann man sich als Hausarzt überall in Bayern niederlassen. Obwohl das Projekt erst neun Monate läuft, zeichnet sich ab, dass das Angebot gut ankommt: Die ersten 13 BeLa-Stipendiaten gibt es bereits. Im Gespräch ist bereits, das Programm bayernweit auszurollen.

Um die Facharztzeit besser zu strukturieren und die Betreuungsqualität zu steigern, wurden Weiterbildungsverbünde gegründet und das Kompetenzzentrum Weiterbildung für Allgemeinmedizin in Bayern (KWAB) ins Leben gerufen. Unter dem Dach der KWAB kooperieren die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK), die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB), die Koordinierungsstelle Allgemeinmedizin (KoStA) und die Allgemeinmedizin der Universitäten in München (TUM und LMU), Würzburg und Erlangen. Geboten wird angehenden Fachärzten ein umfassendes, kostenloses Seminar- und Mentoring-Programm, an dem derzeit etwa 400 Ärzte teilnehmen.

Vor anderthalb Jahren wurde der Forschungsauftrag im Namen des Instituts offiziell auf Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung erweitert. „Die Versorgungsforschung kam hinzu, weil vieles, was wir hier erforschen, nicht eng mit Hausarztmedizin zu tun hat, sondern mit der Primärversorgung. Denn wir testen beispielsweise auch neue diagnostische Instrumente in Lungenfacharztpraxen oder führen Routinedatenanalysen in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns durch“, so Schneider.

Neu ist die Entwicklung von hausärztlichen Forschungsnetzwerken in Bayern. Für die Durchführung komplexerer Studien bis hin zu Arzneimittelstudien müssen die Hausarztpraxen stärker qualifiziert und natürlich für eine Mitarbeit motiviert werden. Dieser Teil der Forschung soll künftig auf einem festeren Fundament stehen. Das soll im Rahmen des Bayerischen Forschungsnetzes (BayForNet) geschehen, das alle vier Allgemeinmedizin-Lehrstühle Bayerns zusammen entwickeln werden. Die Voraussetzungen dafür könnten besser nicht sein: Gemeinsam haben die Lehrstühle eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gewonnen. Für das Ziel, hochwertige klinische Forschung in der Hausarztmedizin zu fördern, steht den Lehrstühlen in den nächsten fünf Jahren ein Etat von 2,8 Millionen Euro zur Verfügung. Um der Forschung richtig Schub zu verleihen, wollen die vier Institute in Bayern neben der Qualifizierung von über 200 Allgemeinarztpraxen auch sogenannte Kernzentren schaffen und Top-20-Forschungspraxen entwickeln. Projektstart ist der 1. Januar 2020.

Nach so viel Aufbauarbeit sollen sich jetzt die geschaffenen Strukturen und Projekte nun verstetigen. Schneiders größter Wunsch: „Dass wir unsere Lehrprogramme langfristig mit einem festen Stammpersonal durchführen können und dass qualitativ hochwertige Forschung im Rahmen der Forschungsnetzwerke Fuß fassen und sich nachhaltig entwickeln kann.“

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