50 Jahre Uniklinikum: Neue Ansätze in der Diagnostik und Therapie von Demenzerkrankungen

50 Jahre Uniklinikum: Neue Ansätze in der Diagnostik und Therapie von Demenzerkrankungen

Noch in den 1980er Jahren wusste die Medizin kaum etwas über demenzielle Erkrankungen. Versorgungsangebote für Betroffene fehlten völlig, von Forschungs- und Therapieansätzen ganz zu schweigen. Ein Pionier auf diesem Gebiet war Professor Hans Lauter. Der damalige Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum rechts der Isar griff auf erste Erfahrungen zurück, die er in den USA gemacht hatte. Dort etablierten sich gerade die ersten Ambulanzen für Gedächtnisstörungen, die sogenannten Memory Clinics oder Gedächtnissprechstunden. Professor Lauter gründete nach deren Vorbild die europaweit erste Spezialambulanz am Klinikum rechts der Isar. Heute zählt das Zentrum für Kognitive Störungen zu den größten Gedächtnisambulanzen Europas und ist immer noch Pionier in der Behandlung von Demenz-Patienten und in der Forschung. Professorin Janine Diehl-Schmid und Privatdozent Timo Grimmer, die Leiter der Spezialambulanz, berichten über die neuesten Erkenntnisse.

 

Professorin Janine Diehl-Schmid

Frau Professor Diehl-Schmid, Herr Grimmer, war in den 1980er Jahren Alzheimer-Demenz bereits ein Thema in der Öffentlichkeit?


PD Timo Grimmer: Da fing es gerade an. Professor Lauter hat 1985 die erste Spezialambulanz für Kognitive Störungen hier am Klinikum rechts der Isar gegründet. Man hat bald festgestellt, dass Angehörige von demenziell Erkrankten einen hohen Leidensdruck haben, aber auch eine große Unterstützung sein können. So entstanden die ersten Angehörigengruppen. Daraus hat sich die Münchner Alzheimer-Gesellschaft entwickelt, übrigens auch hier in unseren Räumen. Aus ihr entstand die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft. In den achtziger Jahren haben wir auch bereits mit der Forschung in der Diagnostik und der Therapie begonnen.

Wird das Thema heute gehypt? Jedem, der etwas „altersvergesslich“ ist, wird gerne eine Demenz oder Alzheimer-Krankheit unterstellt.


Professorin Janine Diehl-Schmid: Man darf altersvergesslich werden, aber gehen die Beeinträchtigungen über das Altersnormale hinaus, muss man davon ausgehen, dass etwas Pathologisches dahinter steckt. Ich glaube, in der Bevölkerung ist angekommen, dass die Menschen mit Demenz, die hilflos und pflegebedürftig sind, sich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium einer Demenz befinden. Wenn heute die Diagnose einer Demenz – zumal in einer Spezialambulanz wie der unseren – gestellt wird, geschieht das in einem sehr, sehr frühen Stadium der Demenz. Zu einem Zeitpunkt, wenn allenfalls geringe Alltagseinschränkungen vorliegen. Dann geht es unter anderem um die Frage, wie der Betroffene sein Leben plant, was er kann, was er machen will. Ich stelle in den vergangenen Jahren generell eine größere Offenheit, eine größere Bereitschaft fest, sich mit dem Thema Demenz auseinanderzusetzen.

Wann ist die Medizin gefragt?

Diehl-Schmid: Da wir heute auf frühe Diagnose und möglichst frühe Therapie setzen, gilt: Besser früh genau hinsehen.


Grimmer: Unser Vorgehen der Frühdiagnostik ist dem bei der Schlaganfallprophylaxe vergleichbar. Wir können nach einem Schlaganfall ja nicht mehr das Hirn reparieren. Um einen Schlaganfall zu verhindern, kümmern wir uns daher zum Beispiel um den Bluthochdruck. Der tut niemandem weh, und dennoch wird sehr viel Mühe darauf verwendet, ihn zu erkennen und zu behandeln, weil er ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Schlaganfalls ist. So ähnlich sehen wir das auch und versuchen daher frühzeitig, die Erkrankungen zu erkennen, die zu einer Demenz führen. Wir wissen, dass sie sich über Jahre, wahrscheinlich schon über Jahrzehnte im Gehirn abspielen, bevor die Demenz sichtbar wird. Dann ist das Gehirn bereits weitgehend zerstört. Wir müssen also diese Hirnerkrankungen viel früher entdecken. Das heißt, wenigstens in einem Stadium, in dem die Menschen nur ein bisschen vergesslich sind, idealerweise aber schon dann, wenn sie noch gar keine Beschwerden haben. Wir haben die Hoffnung, dass man dann mit einer gut verträglichen und wenig aufwändigen Behandlung vielleicht so weit kommen kann, dass sie zu Lebzeiten keine Demenz mehr erleiden müssen.

Ist Ihr Ziel also, die Früherkennung von Alzheimer-Demenz so zu strukturieren wie beispielsweise die Krebsvorsorge?

Diehl-Schmid: Das ist das weltweite Ziel. Die aktuell beforschten Therapiestrategien sind nur wirksam, wenn sie viele Jahre vor Ausbrechen der Symptome angewendet werden. Wenn diese Medikamente in den Arzneimittelstudien ihre Wirksamkeit bewiesen haben, wird die Therapie so früh im Verlauf wie möglich starten. Wenn die Nervenzellen erst kaputt sind, ist es zu spät für diese Therapien. Solange diese Medikamente jedoch noch nicht auf dem Markt sind, ergeben sich aus einer sehr frühen Diagnose eher wenig therapeutische Konsequenzen – sieht man einmal von präventiven Maßnahmen und Lebensplanung ab.

 

Neuropsychologische Testung

Wie kann man Demenz diagnostizieren?

Diehl-Schmid: Ein Kollege hat mal gesagt: Wenn Sie eine Demenz haben, kommen sie nicht selbst zum Arzt. Das ist etwas übertrieben, aber tatsächlich ist es so, dass das Bewusstsein für die Krankheit sehr viel häufiger bei den Angehörigen vorhanden ist. Eine beginnende Demenzerkrankung zeigt sich meist in Konzentrationsstörungen, zunehmender Vergesslichkeit und daraus resultierenden Fehlleistungen im Alltag. Wenn ein Patient zu uns kommt, erfolgt als Erstes eine ausführliche Anamnese. Das heißt, die Betroffenen beziehungsweise die Angehörigen werden befragt, welche Probleme sie bemerken. Um die geschilderten Defizite des Gedächtnisses oder auch der Sprache zu objektivieren, haben wir standardisierte neuropsychologische Tests.

Wie laufen diese Tests ab?

Diehl-Schmid: Zur neuropsychologischen Testung verwenden wir in unserem Zentrum die CERAD-Testbatterie, die Tests der Wortflüssigkeit, des Benennens, des sprachlichen und nichtsprachlichen Gedächtnisses und des visuellen Gedächtnisses einschließt, ebenso wie den Mini-Mental-Status-Test, einen Screeningtest für kognitive Einschränkungen. Das individuelle Testergebnis wird verglichen mit den Ergebnissen eines Kontrollkollektivs Gesunder, wobei Bildungsstand, Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. So wissen wir, wann die Werte der individuellen Testergebnisse pathologisch, also unterhalb der Norm sind.

Was geschieht anschließend im Falle, dass?

Diehl-Schmid: Wenn wir aufgrund der Testergebnisse glauben, dass da etwas sein könnte, erfolgt die weitere Diagnostik der für diese Beschwerden möglichen Ursachen. Diese beinhaltet zunächst eine körperliche Untersuchung sowie eine Blutuntersuchung, mit der man beispielsweise Schilddrüsenfunktionsstörungen, Elektrolytstörungen oder eine Blutarmut als Ursache der Gedächtnisprobleme identifizieren kann. Zur Diagnostik gehört auch eine Bildgebung des Gehirns, meist wird eine Kernspintomographie durchgeführt, um etwa Schlaganfälle, Hirnblutungen oder Tumorerkrankungen als Ursache der Symptome ausschließen zu können.

Grimmer: Sind die bisher gennannten Untersuchungen unauffällig, stellt sich die Frage einer ursächlichen Hirnerkrankung. Diese sind häufig Eiweißablagerungserkrankungen, wie zum Beispiel Alzheimer. Früher war man für die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit eher auf Vermutungen angewiesen, heute gibt es diagnostische Tests, um diese Krankheit nachzuweisen. Sie ist durch Eiweißablagerungen im Gehirn charakterisiert. Es handelt sich dabei um zwei Eiweiße. Eines ist Amyloid. Wir gehen davon aus, dass es viele Veränderungen im Gehirn anstößt. Das zweite ist das Tau-Protein. Diese beiden Eiweiße kann man messen. Einmal in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor), die ähnlich einer Blutabnahme aus dem Wirbelsäulenkanal in Höhe der Lendengegend entnommen wird. Alternativ kann man sie inzwischen mit der PET (Positronenemissionstomographie) bildlich darstellen. Seit wir diese Möglichkeit haben, wissen wir, dass diese Veränderungen den ersten Symptomen wie der erwähnten Vergesslichkeit zehn bis zwanzig Jahre vorausgehen. Wir haben also die technischen Möglichkeiten, Krankheiten wie die Alzheimer-Krankheit zu entdecken, lange bevor die Menschen darunter leiden müssen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass wir Behandlungsformen entwickeln können, die den Verlauf bremsen und so das Auftreten einer Demenz verzögern oder verhindern.

Das heißt theoretisch: Je früher man, die Krankheit erkennt, umso einfacher lässt sie sich behandeln?


Grimmer: Die Idee hinter unseren Forschungen ist zu versuchen, die Bildung dieser Eiweiße zu verhindern oder bereits vorhandene Eiweißablagerungen aus dem Gehirn zum Verschwinden zu bringen. Die eleganteste Methode ist die Immuntherapie. Das heißt, dass man das körpereigene Abwehrsystem „umdressiert“; wie bei einer Impfung werden die Eiweißablagerungen bekämpft und schließlich abgebaut. Wichtig sind dabei sogenannte Antikörper. Stellen Sie sich diese wie Fähnchen vor, die auf der einen Seite den Feind, das Amyloid, erkennen und auf der anderen Seite eine „Winkfunktion“ haben, die der Artillerie des Körpers, also den Fresszellen, signalisiert: Hier ist der Feind, baut ihn ab. Wir wissen bisher, dass das mechanistisch funktioniert, man kann die Menge dieser Eiweiße tatsächlich reduzieren. Es scheint auch so zu sein, dass man damit auf die Bremse tritt, also das Fortschreiten dieser Krankheiten verlangsamt.

Das klingt doch gut.

Grimmer: Das ist eigentlich sehr ermutigend. Enttäuschend ist, dass die weltweit durchgeführten Studien, an denen wir zum Teil führend beteiligt waren, es bisher nicht geschafft haben, die selbstgesteckten Ziele zu erfüllen. Mit anderen Worten: Der Erfolg war bisher nicht so ausgeprägt, wie man ihn zu Beginn erwartet hatte. Wir sind aber sehr hoffnungsvoll, dass sich das in den laufenden Studien in absehbarer Zeit positiv ändern wird.

Sind Sie auch an den Studien zu neuen Medikamenten gegen die Alzheimer-Krankheit beteiligt?

Diehl-Schmid: Selbstverständlich. Interessierte Patienten haben die Möglichkeit, an verschiedenen Placebo-kontrollierten Arzneimittelstudien teilzunehmen. Die große Hoffnung ist, dass in den nächsten Jahren eines dieser Präparate, da würde ich auf eines der Immunisierungspräparate tippen, den Verlauf der Erkrankung tatsächlich deutlich verlangsamt.

Wie viele Patienten betreuen Sie?

Diehl-Schmid: Wir sehen rund 700 neue Patienten pro Jahr. Unser Anspruch ist die sorgfältige und umfassende Diagnostik, die zu einer Therapieempfehlung führt sowie eine individuelle sozialmedizinische Beratung des Patienten und seiner Angehörigen. Anschließend werden die Patienten von ihrem niedergelassenen Arzt weiterbehandelt.

Dann ist sozusagen Ihre Arbeit beendet?

Diehl-Schmid: Ja, außer der Patient nimmt an einer Arzneimittelstudie teil. Das bieten wir als Universitätsklinik genauso an wie die Teilnahme an wissenschaftlichen Studien.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Diehl-Schmid: Wir beforschen unterschiedlichste Themen. Neben den seltenen Demenzformen wie der Stirnhirndemenz und den Demenzen im jüngeren Lebensalter beschäftigen wir uns mit technischen Möglichkeiten der Früh- und Differenzialdiagnstik der Demenz.

Grimmer: Wir haben beispielsweise auf dem europäischen Festland tatsächlich als Erste eine Amyloid-PET angeboten und gefragt, welcher Nutzen die PET hat, um zum Beispiel eine frühe Diagnose zu stellen. Die bisherigen Tests zum Nachweis der Alzheimer-Krankheit sind noch nicht ideal. Die Liquoruntersuchung ist nicht sehr angenehm, die PET ist teuer. Deshalb suchen wir nach weiteren Frühdiagnostikmöglichkeiten, zum Beispiel in Form eines Bluttests. Ganz aktuell liegt einer unserer Forschungsschwerpunkte auf der Untersuchung von Veränderungen der Gefäße im Gehirn mit Ultraschall und am Augenhintergrund. Die Augen sind quasi ein Teil des Gehirns und sehr einfach zugänglich. Wir forschen, ob Veränderungen dort schon einen Hinweis auf die Alzheimer-Krankheit geben können. Diese Art der Untersuchung ist möglicherweise nicht so genau wie ein PET, würde aber die Möglichkeit eines Screenings als ersten Schritt in der Diagnostik ermöglichen. Schlimm wäre es, wenn wir eine Therapie für Menschen im Anfangsstadium der Demenz hätten, diese aber nicht erreichen können.

Diehl-Schmid: Darüber hinaus haben wir zahlreiche Forschungsprojekte jenseits technischer Innovationen und medikamentöser Strategien. Hier sind etwa Studien zu erwähnen zu den Problemen, Bedürfnissen und zur Unterstützung der Angehörigen, zu den Möglichkeiten architektonischer Maßnahmen aber auch moderner Technologien wie beispielsweise Apps in der Rehabilitation, Betreuung und Pflege, um nur einige zu nennen.

Forschen Sie im Verbund?

Grimmer: Da wir an einer Technischen Universität arbeiten, haben wir einen entscheidenden Vorteil. Wenn wir zum Beispiel Fragen zu einer neuen Methode haben, haben wir unglaubliche Möglichkeiten. Nehmen Sie das Beispiel PET: Die Kollegen in der Nuklearmedizin können neue Kontrastmittel sogar selbst herstellen; die Gefäßdarstellung am Augenhintergrund ist aus einer Zusammenarbeit mit unseren Nephrologen entstanden.

Diehl-Schmid: Wir sind natürlich auch in diversen internationalen Verbünden tätig. Für bestimmte Fragen auf dem Gebiet der Genetik oder bei seltenen Formen der Demenz macht nur eine Forschung in nationalen und internationalen Kollaborationen Sinn, um ausreichend viele Patienten in die Forschung einzuschließen.

Interview: Dorothea Friedrich

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