Assistierte Sterbehilfe: Selbstbestimmung bis zum Schluss

Assistierte Sterbehilfe: Selbstbestimmung bis zum Schluss

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot organisierter Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt. Prof. Johanna Anneser, Leiterin des Palliativmedizinischen Dienstes (PMD) am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, erklärt, warum das wichtig ist für die Versorgung schwerstkranker Menschen.

Prof. Johanna Anneser,  Leiterin des Palliativmedizinischen Dienstes (PMD) am Klinikum rechts der Isar

Prof. Johanna Anneser,  Leiterin des Palliativmedizinischen Dienstes (PMD) am Klinikum rechts der Isar

Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht es um den 2015 eingeführten Strafrechtsparagrafen 217, der seither die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe stellt. Dagegen haben Suizidhilfevereine, aber auch Patienten und Ärzte geklagt.

Frau Prof. Anneser, welche Auswirkungen hatte der Paragraf für Mediziner, die schwerstkranke Menschen versorgen?

Prof. Johanna Anneser: Für Palliativmediziner hatte die Formulierung „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ Rechtsunsicherheit geschaffen. Denn anders als man vielleicht vermutet, erfordert diese Geschäftsmäßigkeit keine Gewinnerzielungsabsicht, es genügt eine Regelmäßigkeit. Wenn mich also Patienten in Beratungsgesprächen fragten, wie sie schneller sterben könnten, war unklar, ob allein eine Beratung dieser Patienten zum Suizid schon strafbar ist. Selbiges galt für die Duldung eines Suizids, zum Beispiel in Form eines freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit auf einer Palliativstation im Krankenhaus. Auch habe ich es immer wieder erlebt, dass sich Patienten – im Wissen um die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe – nicht mehr trauten, ihren Suizidwunsch mir gegenüber anzusprechen.

Bei Paragraf 217 ging es letztlich um die Frage, ob es ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben gibt und wie weit es reicht. Herrscht darüber jetzt Klarheit?

Prof. Johanna Anneser: Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig festgehalten, dass das Persönlichkeitsrecht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst, zu dem auch das Recht gehört, dafür Hilfe zu suchen und zu erhalten. Interessant ist, dass dieses Recht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht an eine tödliche oder schwere Erkrankung gebunden ist.
Es wurde geurteilt, dass der bestehende Paragraf 217 nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dies bedeutet nun keinen Endpunkt der Diskussion, aber einen wichtigen Meilenstein.In der Urteilsverkündung wurde deutlich, dass die Suizidhilfe vom Gesetzgeber durchaus reguliert werden darf, beispielsweise durch „prozedurale Sicherungsmechanismen“, also etwa durch eine Beratungspflicht ähnlich der Schwangerenberatung. In der konkreten Ausgestaltung wird hier die Palliativmedizin sicher gefragt sein.

Für sterbewillige Patienten ist das Urteil aber eine gute Botschaft?

Prof. Johanna Anneser: Ganz praktisch gesprochen besteht nun die Aussicht, schwerkranke, sterbewillige Patienten auf ihren Wunsch vor einer möglicherweise grausamen Selbsttötung zu bewahren. Ich selbst kenne Fälle, wo sich Patienten in ihrer Not von einem Hochhaus oder vor den Zug gestürzt haben. Das ist unmenschlich. Bei diesem Urteil ist aber auch deutlich geworden, dass die „Tatherrschaft“, die eigentliche Durchführung des Suizids, Ausdruck einer freien Entscheidung sein muss und beim Patienten liegt. Die Tötung auf Verlangen bleibt weiterhin strafbar. Das Urteil entspricht im Übrigen auch der Auffassung der Mehrheit in Deutschland. Gerade hat eine repräsentative Infratest-dimap-Studie ergeben, dass 81 Prozent der Bevölkerung dies eindeutig befürworten.

Besteht die Gefahr, dass die Möglichkeit eines assistierten Suizids die Zahlen steigen lassen werden?

Prof. Johanna Anneser: Untersuchungen aus Ländern, wo es den assistierten Suizid bereits gibt, wiederlegen derlei Befürchtungen. Ein gutes Beispiel ist der US-Bundesstaat Oregon. Dort gibt es die Suizidbeihilfe im Rahmen des Death with Dignity Act seit 1997.Die Zahlen der Inanspruchnahme sind seit Jahren konstant. Tatsächlich nimmt auch nur etwa jeder Zweite das ausgehändigte Medikament ein. Anders sieht es bei der Tötung auf Verlangen aus, wie sie in den Niederlanden möglich ist. Hier sind die Zahlen massiv gestiegen. Die Option eines streng geregelten assistierten Suizids halte ich auch deshalb für sinnvoll, um zu verhindern, dass der Ruf nach einer Tötung auf Verlangen lauter wird. Die ist keine Lösung, die ich mir wünsche.

Frank Ulrich Montgomery, der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer, ist davon überzeugt, dass die meisten sterbewilligen Patienten ihren Todeswunsch vergessen, wenn man ihnen ein vernünftiges palliativmedizinisches Angebot macht. Was sagen Sie dazu?

Prof. Johanna Anneser: Herrn Montgomery ist insofern zuzustimmen, als es Aufgabe der Palliativmedizin ist, schwerkranken Patienten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln das Leben so erträglich wie möglich zu machen. Wir können in den meisten Fällen sehr gut helfen, belastende Symptome wie Schmerzen, Atemnot und Übelkeit lindern und vieles mehr. Aber es gibt eine, wenn auch kleine Gruppe von Patienten, bei denen wir das nicht in dem Maße schaffen, dass es für sie eine akzeptable Lösung ist. Das sind Patienten, die eine klare Vorstellung haben, was für sie ein Leben mit einer annehmbaren Lebensqualität ist, und was eben nicht. Ich erinnere mich an eine Lehrerin im mittleren Alter mit einem Mittelgesichtstumor, der ihr Gesicht zerstört hatte und sehr stark roch. Ihr Lebensinhalt war es, Kinder zu unterrichten. Weil sie das nicht mehr konnte, wollte sie unter diesen Umständen – trotz aller Bemühungen der Ärzte, Pflegekräfte und Psychologen – auch nicht mehr weiterleben. Es ist so, wie es in der Urteilsbegründung gesagt wurde: Man kann den Beschluss eines Menschen, der Suizid begehen möchte, bedauern. Man kann alles versuchen, ihn umzustimmen. Aber dessen freie Entscheidung ist in letzter Konsequenz zu akzeptieren.

Was wünschen sich Menschen, die wissen, dass es für sie keine Heilung mehr gibt?

Prof. Johanna Anneser: Die Wünsche am Lebensende sind so unterschiedlich wie die Patienten selbst. Manche nehmen Abschied, indem sie noch alle möglichen Dinge regeln. Andere wollen einfach Zeit mit ihnen nahestehenden Menschen verbringen. Aber natürlich machen sich viele auch Gedanken über die letzte Phase ihrer Erkrankung und möchten sie planen. Allein die Möglichkeit eines assistierten Suizids ist da für viele sehr beruhigend.

Kann man Sterben lernen?

Prof. Johanna Anneser: Das Sterben beginnt eigentlich schon mit dem Bewusstsein, dass unser Leben endlich ist. In einem bekannten Psalm heißt es: „Herr, lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen“. Für mich bedeutet dies, dass der Blick auf die Endlichkeit viele Dinge relativiert, die einem im Leben begegnen. Diese Einsicht scheint mir eine gute Voraussetzung für das eigene Sterben. Nach meiner Erfahrung hadern die Menschen am meisten mit dem Tod, die glauben, alles im Leben falsch gemacht zu haben und daran jetzt nichts mehr ändern können.

Wie stellen Sie sich Ihren Tod vor?

Prof. Johanna Anneser: Ich hoffe, mit einem weisen Herzen. Aber wie es wirklich sein wird, kann man vorher nicht sagen.

 

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 

Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin

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