„Die Behandlung von Covid-19 ist besser beherrschbar“

„Die Behandlung von Covid-19 ist besser beherrschbar“

Unter der Leitung von Infektiologe und Oberarzt PD Dr. Christoph Spinner laufen am Klinikum rechts der Isar der technischen Universität München (MRI) mehrere klinische Studien zu Arzneimitteln im Kampf gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Neben einem Impfstoff sind wirksame Medikamente das wichtigste Instrument im Kampf gegen die Pandemie. Ein Überblick über die Behandlung am Klinikum rechts der Isar nach gut drei Monaten Erfahrung mit Covid-19.

Infektiologe und Oberarzt PD Dr. Christoph Spinner leitet verschiedene klinische Studien zu Arzneimitteln im Kampf gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2

Infektiologe und Oberarzt PD Dr. Christoph Spinner leitet verschiedene klinische Studien zu Arzneimitteln im Kampf gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2

Fotos: Argum

Routinierter Umgang mit Covid-19-Patienten

„Wir haben inzwischen einen routinierten Umgang mit der Covid-19-Erkrankung und dem Erreger“, sagt Dr. Christoph Spinner. Neue Erkenntnisse machen die Erkrankung jeden Tag etwas besser beherrschbar. „Trotzdem wissen wir noch sehr wenig darüber, warum manche Menschen nahezu symptomfrei bleiben, während andere, selbst junge Patienten, auf der Intensivstation behandelt werden müssen und manche sterben.“ Sorge bereite außerdem, dass Covid-19-Patient*innen meist spät ins Krankenhaus kommen. „Im April – zum bisherigen Höhepunkt der Pandemie in München – hatten wir an einem einzigen Tag fünf Fälle in unserer Notaufnahme, die wenige Stunden später alle intubiert, kritisch krank in Bauchlage, auf der Intensivstation versorgt werden mussten.“ Patient*innen mit akutem Lungenversagen (ARDS) werden in Bauchlage gelagert, um die Sauerstoffversorgung zu verbessern. Von den über 200 Covid-19-Patient*innen, die bis Ende Mai am MRI stationär behandelt wurden, konnten rund 160 Menschen geheilt wieder entlassen werden.

 

Auf einer Covid-19-Intensivstation des Klinikums rechts der Isar im April 2020

Auf einer Covid-19-Intensivstation des Klinikums rechts der Isar im April 2020

Das SARS-CoV-2-Virus

„SARS-CoV-2 kann fast jede menschliche Zelle im Körper betreffen“, erklärt Spinner. „Es ist keine isolierte Erkrankung der Lunge, sondern eine virale Systemerkrankung.“ Das erklärt auch die möglichen Komplikationen. „Von der Lungenentzündung bis zur Entzündung des Herzmuskels oder des Gehirns beobachten wir sehr unterschiedliche Krankheitsbilder.“ Zunehmendes Alter und Vorerkrankungen u.a. der Lunge oder des Herz-Kreislaufsystems sind Risikofaktoren. Eines der Ziele sei es, die Patient*innen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine schwere Erkrankung schneller zu identifizieren. Dabei könne z.B. die Telecovid-Studie von Prof. Georg Schmidt helfen. Mit Hightech-Sensoren im Ohr werden rund um die Uhr die Vitalparameter von Covid-19 Erkrankten in häuslicher Isolation gemessen. Neben der Körpertemperatur werden die Sauerstoffsättigung des Blutes, Atemfrequenz und Puls überwacht und geprüft, wie gut der Körper die Auswirkungen der Erkrankung kompensieren kann.

Intensivmedizin: Organfunktionen auf Zeit ersetzen

„Moderne Intensivmedizin bedeutet, lebensnotwendige Körper- oder Organfunktionen für einen begrenzten Zeitraum zu ersetzen“, erklärt Dr. Spinner. Mit künstlicher Beatmung bei Lungenversagen z.B., oder mittels einer Blutwäsche (Dialyse). Auch Nierenversagen kann zu den Covid-19 Komplikationen gehören, genauso wie eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf SARS-CoV-2. Diese kann starke Entzündungsreaktionen hervorrufen und ist nur schwer in den Griff zu bekommen. „Ganz wichtig bleibt darum, dass der Körper und das Immunsystem wieder lernen, ihre Funktionen selbst zu übernehmen.“ Ob mit Spätfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion zu rechnen sei? „In der Mehrheit der Fälle scheint die Infektion folgenlos auszuheilen“, sagt Spinner. Die Patient*innen mit komplizierten Verläufen müssten nach ihrer Genesung engmaschig untersucht werden. Erst im Rückblick einiger Zeit könne man genau sagen, ob wirklich keine Folgeschäden zurückbleiben.

Medikamente: Hoffnung Remdesivir

Das Klinikum rechts der Isar ist beteiligt an internationalen Arzneimittelstudien gegen Covid-19, u.a. mit dem Medikament Remdesivir. Es ist ein direkt antiviral wirksames Mittel, das die Vermehrung des Virus hemmt. „Es ähnelt der RNA der Viren, deshalb baut der Erreger den Wirkstoff als ‚falschen Baustein’ ein und die Viren können sich nicht mehr vermehren“, erklärt Spinner. Ursprünglich für die Ebola-Behandlung geprüft, aber nicht dafür zugelassen, erwies sich Remdesivir in Labortests bereits als wirksam gegen SARS-CoV-2. Am Klinikum rechts der Isar wurden Patient*innen mit mittelschwerer bis schwerer Covid-19-Erkrankung nach ihrer Einwilligung im Rahmen der internationalen SIMPLE-Studie mit Remdesivir behandelt. „Die Erkrankungsdauer konnte um rund 30 Prozent von 15 auf elf Tage verkürzt werden. Die Verträglichkeit war gut“, sagt Spinner. „Wir konnten nachweisen, dass Remdesivir einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf nimmt und vielleicht sogar mit einer geringeren Sterblichkeit assoziiert ist.“ Die Studie zeigte ergänzend, dass einen fünftägige Therapie mit Remdesivir so effektiv wie eine zehntägige Remdesivir-Therapie bei schwer kranken Covid-19 Patienten war. „Die Therapiedauer ist von hohem Interesse für die medizinische Versorgung. Einerseits werden Patient*innen nur so lange wie nötig behandelt und können gegebenenfalls früher aus dem Krankenhaus entlassen werden. Andererseits wäre das Medikament für mehr Menschen verfügbar, was bei voraussichtlich begrenzten Produktionskapazitäten von Vorteil ist. Eine kürzere Anwendung ist möglicherweise auch mit weniger Nebenwirkungen für die Patient*innen verbunden“, erklärt Spinner.

Die USA erteilte bereits Anfang Mai eine Ausnahmegenehmigung. Die Europäische Arzneimittelagentur hat ihre Empfehlungen für die Anwendung im Rahmen von Härtefallprogrammen auf moderate und schwere Covid-19 Verläufe erweitert.

Weitere Arzneimittelstudien mit APN01 und Selinexor

Es gibt einige hundert Arzneimittel, die derzeit im Kontext von Covid-19 untersucht werden. Auch am Klinikum rechts der Isar laufen zwei weitere Studien mit APN01 und Selinexor. Ergebnisse stehen noch aus. APN01 ahmt das humane Enzym ACE2 nach, das SARS-CoV-2 zum Eindringen in Zellen benötigt. Wenn das Virus an das Medikament bindet anstatt an das menschliche Enzym der Zellen, kann es die Zellen nicht mehr infizieren. Gleichzeitig reduziert APN01 Entzündungsreaktionen in der Lunge. „Vielversprechend ist auch Selinexor, weil es antiviral und anti-entzündlich wirkt.“ Christoph Spinner ist optimistisch: „ Ich bin beeindruckt, wie schnell die Forschung auf der ganzen Welt vorangeht. Ein um 30 Prozent verbesserter Krankheitsverlauf wie bei Remdesivir ist hoffentlich erst ein Anfang.“

 

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