Globale Gesundheit: Katalysator Covid-19

Globale Gesundheit: Katalysator Covid-19

Die Covid-19-Pandemie hat das Konzept der Globalen Gesundheit oder Global Health (GH) über Nacht in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
 Das Gebiet der Globalen Gesundheit ist in den heimischen Wohnzimmern angekommen und zwingt uns kraft des Ausmaßes der Pandemie zu der Erkenntnis, dass wir alle in einem Boot sitzen, auch in puncto Gesundheit.

Eine Einführung von Prof. Dr. Andrea Sylvia Winkler (Center for Global Health der Technischen Universität München und Neurologische Klinik am Klinikum rechts der Isar) und Prof. Dr. Clarissa Prazeres da Costa (Center for Global Health der TUM und Institut für medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Klinikum rechts der Isar. Der Text ist auch im TUM-Sammelband "Denkanstöße für die Zeit nach Corona" (kostenloser Download) erschienen:

 

Das Center for Global Health der Technischen Universität München (TUM) beschäftigt sich mit globaler Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention

Das Center for Global Health der Technischen Universität München (TUM) beschäftigt sich mit globaler Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention. Webseite: https://www.med.tum.de/de/center-global-health

Interessierten bis dato die Gesundheitsprobleme anderer Länder, vor allem diejenigen des Globalen Südens, nur peripher, so werden diese nun von der breiten Öffentlichkeit ängstlich wahrgenommen. Wir werden an den Ebolaausbruch 2013–2016 in Westafrika erinnert, der dank dem heroischen Einsatz vieler globaler Gesundheitsakteure lokal und weltweit effektiv eingedämmt werden konnte. Somit kam Ebola glücklicherweise nie in Deutschland an. Hätte man damals nicht daraus lernen müssen und noch stärker den Dialog mit den Partnern vor Ort, nicht nur auf Gesundheitsexperten-Ebene sondern vor allem auch auf politischer Ebene, suchen sollen, um partnerschaftlich nachhaltige Präventivkonzepte zu erarbeiten? Spätestens bei der jetzigen COVID-19-Pandemie, dem ersten Global-Health-Notfall seit der Spanischen Grippe 1918, hätten sie zum Einsatz kommen müssen.

Das Konzept „Globale Gesundheit“

Das Konzept „Global Health“ hat sich aus der Erklärung von Alma-Ata entwickelt, wo 1978 eine internationale Konferenz zu primärer Gesundheitsversorgung („primary health care“) von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgehalten wurde. Sie wurde zu einem der wichtigsten Meilensteine des 20. Jahrhunderts im Bereich der öffentlichen Gesundheit und identifizierte die primäre Gesundheitsversorgung als Schlüssel zur Erreichung des Ziels „Gesundheit für alle“. In der Deklaration heißt es: „Ein akzeptables Gesundheitsniveau für alle Menschen auf der Welt bis zum Jahr 2000 kann durch eine umfassendere und bessere Nutzung der Ressourcen der Welt erreicht werden.“1 In den darauffolgenden Jahrzehnten tat sich in der zunehmend globalisierten Welt viel, sodass im Jahr 2000 die Weltgemeinschaft, vertreten durch die Vereinten Nationen (UN, United Nations), die Millennium Development Goals (MDGs) ausrief. Sie bestanden aus acht, zum Teil sehr eng gefassten Zielen, von denen das achte schon damals zur globalen Partnerschaft als zentrales Entwicklungselement aufrief. Den MDGs folgten dann im Jahr 2015 die ebenfalls von der UN entwickelten 17 Nachhaltigkeitsziele, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), die bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen.

Die Nachhaltigkeitsziele sind breit und inklusiv, aus der systemischen Perspektive heraus gefasst, und lassen sich grob in einen sozialen, einen ökologischen und einen ökonomischen Bereich untergliedern, die wiederum auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden sind. SDG 3 befasst sich speziell mit der Globalen Gesundheit und soll „ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“.

Global Health will also als Menschrecht auf Gesundheit verstanden werden und ruft zur Kooperation und Kollaboration über die Disziplinen und Sektoren hinweg auf, um Gesundheit unter Einschluss aller relevanten Akteure (Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft) weltweit zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere auch die Anerkennung sozialer Ungleichheiten, die sogenannten „determinants of health“, wie beispielsweise Armut, Bildungsmangel oder geschlechts- spezifische Diskriminierung, als zentrale Einflussfaktoren auf Gesundheit.

Aktionsfelder der Globalen Gesundheit

Durch die Covid-19-Pandemie könnte der Eindruck entstehen, dass der Aktionsradius von Global Health hauptsächlich durch Epidemien oder Pandemien bestimmt wird und GH primär für akute, globale Gesundheitskrisen konzipiert ist. Obwohl die Epidemiebekämpfung ein wichtiger Bestandteil von GH ist, treten neu- und wiederauftretende Infektionserkrankungen doch eher in den Hintergrund, wenn man die sogenannte Krankheitslast („burden of disease“) heranzieht, die neben der Mortalität und Morbidität auch Risikofaktoren, die beispielsweise umwelt- oder arbeitsbedingt sind, einschließt. Durch diese Berechnungen können Erkrankungen umfassender verglichen werden. So rütteln Epidemien und Pandemien zwar wach, jedoch verursachen sie meist weniger Krankheitslast, verglichen beispielsweise mit den großen „Killern“ Malaria, HIV/AIDS und Tuberkulose.2 Die Spanische Grippe und die Covid-19-Pandemie stellen allerdings Ausnahmen dar, nicht nur wegen der deutlich erhöhten Krankheitslast im Vergleich zu anderen Epidemien, sondern auch wegen der beachtlichen Auswirkung auf die Weltwirtschaft. Obwohl Infektionserkrankungen die weitaus besseren Schlagzeilen liefern, muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass mehr als 70 % aller Menschen an nichtübertragbaren, chronischen Erkrankungen versterben, vorweg Herzkreislauferkrankungen, gefolgt von Krebs- und Lungenerkrankungen sowie Diabetes (siehe Kapitel: Klug und Kiechle zu Krebs in Afrika).2

GH findet sich aber nicht nur in den klassisch biomedizinischen, doch eher eng gefassten Bereichen, sondern benutzt häufig die Gesundheitssystemperspektive, welche den Fokus von den einzelnen Erkrankungen weg auf einen horizontalen, multidisziplinären Ansatz legt und Gesundheitssysteme in ihrer Gesamtheit betrachtet. Wichtige übergreifende Themen in GH sind daher beispielsweise Migration und Klimawandel, als globale Determinanten von Gesundheit, oder das One-Health Konzept, das die Zusammenhänge zwischen Mensch, Tier und Umwelt in den Mittelpunkt stellt (siehe Kapitel: Winkler, Amuasi, Wacker zu One- Health). In diesem Bereich sind auch die antimikrobiellen Resistenzen (AMR) und einige der vernachlässigten oder armutsassoziierten Tropenkrankheiten („neglected tropical diseases“) angesiedelt. Weitere Themengebiete in GH sind Ernährung, Digitalisierung, Governance sowie global agierender Handel und Wirtschaftssysteme.

Nachhaltigkeit auf globaler Ebene

Um SDG 3 mit Engagement zu untermauern, riefen die Regierungschefs der drei Länder Deutschland, Norwegen und Ghana 2018 den Globalen Aktionsplan („global action plan“) ins Leben, der den Appell an den WHO-Generaldirektor, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, und anderen wichtigen Interessenvertretern, hauptsächlich UN-Organisationen, enthielt, diesen Plan verbindlich zu unterstützen.3 Auf dem Weltgesundheitsgipfel (WHS – World Health Summit) 2018 in Berlin nahmen von zwölf dieser Organisationen, die im Bereich der Globalen Gesundheit unter der Führung der WHO tätig sind, zehn die Herausforderung an und sicherten ihr volle Unterstützung für den Globalen Aktionsplan für SDG 3 zu. Im September 2019 auf der UN-Generalversammlung lancierten dann alle zwölf Organisationen, die den Globalen Aktionsplan unterzeichnet hatten, einen gemeinsamen Plan zur besseren Unterstützung der Länder in der Umsetzung von SDG 3. Diese Visionen auf globaler Ebene sind wichtig und sind die zentrale, treibende Kraft. Zur Operationalisierung bedarf es jedoch der Umsetzung auf lokaler Ebene mittels disziplin- und sektorenübergreifender Strukturen, die nicht nur die globale Konversation auf die lokale Ebene herunterbrechen, sondern den globalen Diskurs durch lokales Handeln mitgestalten. Ein Beispiel einer solchen lokalen Struktur auf universitärer Ebene ist das Center for Global Health (CGH) an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München (TUM).

Nachhaltigkeit auf lokaler universitärer Ebene

Gegründet wurde das CGH 2017 als Reaktion auf den neu entstandenen Bedarf aus der Politik und der Gesellschaft ( siehe oben ) von der Abteilung für Neurologie und dem Institut für medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene. Gewachsen war diese Initiative aus den langjährigen Forschungsaktivitäten der beiden Direktorinnen im Bereich der immunologischen Grundlagenforschung, der vernachlässigten Tropenkrankheiten und der nicht-übertragbaren Erkrankungen, hier speziell im Bereich der Globalen Neurologie, zu deren Bekämpfungen das SDG 3 auffordert. Das CGH ist dabei primär als virtuelle Plattform konzipiert, die es Wissenschaftler*innen über die Fakultäten hinweg ermöglichen soll, sich über zentrale Forschungsthemen der globalen Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention auszutauschen, das Zusammenspiel der verschiedenen die Gesundheit bestimmenden globalen Faktoren („determinants of health“) immer im Blick. Das CGH versteht sich als Keimzelle für GH an der TUM und hat zum Ziel inter- und multidisziplinäre Forschung und Lehre fakultätsübergreifend gemeinsam zu gestalten und neue Globale Gesundheitsprojekte anzustoßen.4 Die Vision des CGH ist es, einen wesentlichen und nachhaltigen Beitrag zur GH zu leisten und den Prozess der Weiterentwicklung der Globalen Gesundheitsagenda Deutschlands zu stärken. Konkret geschieht dies durch interdisziplinäre und fakultätsübergreifende Bündelung von wissenschaftlicher Expertise und Ressourcen der TUM über die drei folgenden Säulen:

Netzwerke: Das CGH ist Anlaufstelle für Akteure unterschiedlicher Sektoren (Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft) und Disziplinen (z. B. Biomedizin, Sozial- und Politikwissenschaften), um sich über GH auszutauschen und zu vernetzen.

Forschung: Das CGH schafft eine Plattform, die den Austausch und die Kommunikation zu aktuellen Forschungsthemen in GH disziplinübergreifend fördert und Projekte aktiv initiiert und unterstützt.

Lehre: Das CGH trägt zur Ausbildung der nächsten GH Generation bei, indem es Lehre im Bereich GH anbietet und Student*innen zur multidisziplinären Zusammenarbeit inspiriert.

 

Schnelle Zusammenarbeit bei Gesundheitskrisen

Im Falle von Gesundheitskrisen, wie der Covid-19-Pandemie, ist es von zentraler Bedeutung, schnell auf etablierte, wissenschaftskoordinierende Strukturen zurückgreifen zu können, um innovative Projekte auf den Weg zu bringen bzw. bestehende Innovation zu vernetzen. Das CGH stößt derzeit durch seine TUM-internen und internationalen Netzwerke einige multidisziplinäre, wissenschaftliche Kollaborationen an, stärkt die TUM-interne Zusammenarbeit und trägt damit zur globalen Agenda im Kampf gegen Covid-19 bei.4 Die Covid-19-Pandemie zeigt, welchen Stellenwert GH in der universitären Landschaft haben sollte. Im Sinne der Nachhaltigkeit müssen Strukturen, die die Interdisziplinarität in Forschung und Lehre fördern, an Universitäten und darüber hinaus eingefordert, unterstützt und fest verankert werden, nicht nur um im Krisenfall schnell reagieren zu können, sondern auch um aus der Krise zu lernen und Gesundheitsprävention zukünftig nachhaltiger zu betreiben. Hierzu können und müssen die Universitäten mit all ihrer Expertise und Innovationskraft beitragen. Systemorientierte Nachhaltigkeit in der Gesundheit ist essenziell, denn Gesundheitsschutz geht uns alle an – im Prinzip wissen wir das, Covid-19 hat uns lediglich daran erinnert.

 

Literatur

1. Erklärung von Alma Ata 1978

http://www.euro.who.int/de/publications/policy- documents/declaration-of-alma-ata,-1978

2. GBD 2017 Causes of Death Collaborators. Global, regional, and national age-sex-specific mortality for 282 causes of death in 195 count- ries and territories, 1980– 2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet 2018; 392: 1736–88.

3. Global Action Plan for Health Lives and Well- being for All. https://www.who.int/sdg/global-action-plan

4. The Center for Global Health, Faculty of Medicine, TUM. https://www.med.tum.de/de/center-global-health

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