Neue Sektion Theranostik: Krebs zielgerichtet und nebenwirkungsarm bekämpfen

Neue Sektion Theranostik: Krebs zielgerichtet und nebenwirkungsarm bekämpfen

Die richtige Therapie für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt: Das leistet das Prinzip Theranostik für Krebskranke. Theranostik, das ist die Kombination aus Therapie und Diagnostik. Seit 2020 leitet Prof. Matthias Eiber am Klinikum rechts der Isar die Sektion für Theranostik, die innerhalb der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin (Direktor: Prof. Wolfgang Weber) neu geschaffen wurde.

Prof. Mathias Eiber

Was sind die Vorteile für Patient*innen der Theranostik in der Nuklearmedizin?
Der Krebs wird sehr zielgerichtet durch radioaktive Strahlen bekämpft: Eine radioaktive Sonde dockt nur an die Tumorzellen an und gibt zielgerichtet Strahlung im Körper ab. Dies unterscheidet die sogenannte Radionuklidtherapie von einer externen Strahlentherapie, bei der die Strahlung erst von außen gesundes Gewebe durchdringen muss, um die Tumorzellen zu erreichen. Im Vergleich zur Chemotherapie, bei der ein Chemotherapeutikum im gesamten Körper verteilt wird, sind unsere Therapien durch diese zielgerichtete Bindung an die Tumorzellen relativ nebenwirkungsarm. Dies schätzen die Patient*innen sehr.

Wie groß ist das Behandlungsspektrum?
Schilddrüsenerkrankungen werden seit Jahrzehnten nuklearmedizinisch nach dem Prinzip der Theranostik behandelt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich unser Spektrum allerdings rapide erweitert: Mittlerweile gibt es bei neuro-endokrinen Tumoren, also hormonbildenden Tumoren des Nervensystems, hämatologischen Erkrankungen, wie Leukämie, Lebermetastasen und Leberzellkrebs vielversprechende Therapieansätze. Und: die sogenannte PSMA-gerichtete Radionuklidtherapie gegen Prostatakrebs wird voraussichtlich 2022 die Zulassung erhalten. Zur Erklärung: PSMA steht für Prostata-spezifisches Membran-Antigen; das ist ein Eiweiß, das fast ausschließlich auf der Oberfläche von Prostatakrebszellen vorkommt. Weitere theranostische Methoden mit potenziellen therapeutischen Möglichkeiten sind unter anderem für das Pankreaskarzinom, sprich Bauchspeicheldrüsenkrebs, sowie das Mammakarzinom, also Brustkrebs, und das Nierenzellkarzinom in der Entwicklung.

 

 

 

Und welche Auswirkungen hat all das auf Patient*innen?
Das Spektrum der Patient*innen, die wir in der Nuklearmedizin therapieren, hat sich deutlich verändert. Waren es in der Vergangenheit überwiegend relativ gesunde Patient*innen mit einer langen Lebenserwartung, sind heute mehr als ein Drittel unserer Patient*innen sehr fortgeschritten erkrankt. Ihre Behandlung erfordert intensive medizinische Betreuung und interdisziplinäre Kooperationen, also über mehrere medizinische Fachgebiete hinweg. Wir bieten den Patient*innen damit weitere Behandlungsmöglichkeiten, die eine Verzögerung des Tumorwachstums und zugleich eine Lebensverlängerung bewirken können.

Ganz konkret: Für wen kommt eine nuklearmedizinische Therapie in Frage?
Beim Schilddrüsenkarzinom ist die Radioiodtherapie die klassische Therapie, sie wird schon seit Jahrzehnten eingesetzt. Bei den meisten Tumorerkrankungen werden die nächsten Therapieschritte in einem Tumorboard entschieden: Hier diskutieren Spezialisten verschiedener Disziplinen gemeinsam die vorgestellten Fälle. Bei Krebspatient*innen gibt es meist nicht die eine Therapie, sondern je nach Krankheitsstadium eine Folge von Therapien. Dabei hat sich die nuklearmedizinische Therapie in den vergangenen Jahren als weiterer Baustein etabliert – insbesondere zur Behandlung von Patient*innen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen.

In der Theranostik bewegt sich derzeit unglaublich viel. Woher kommt das?
Die Zahl molekularer Angriffspunkte bei Krebszellen ist riesig, darin liegt ein ungeheures Potenzial. Bezeichnend ist, dass neben bahnbrechenden Entwicklungen in der Wissenschaft auch die pharmazeutische Industrie seit ein paar Jahren massiv in die Entwicklung neuer molekularer Marker in der Nuklearmedizin investiert. Das macht unser Fachgebiet so innovativ und spannend. Ich bin mir sehr sicher, dass es in Zukunft weitere nuklearmedizinische Therapien gegen Tumorerkrankungen geben wird – Erkrankungen, die wir aktuell noch nicht radioaktiv behandeln können.

Welche wissenschaftlichen Schwerpunkte verfolgen Sie persönlich?
Das Klinikum rechts der Isar hat in den vergangenen zehn Jahren Pionierarbeit bei der Entwicklung neuer nuklearmedizinischer Verfahren geleistet, sowohl bei der Diagnose als auch in der Therapie. Grundlage dafür war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit den naturwissenschaftlichen Fächern der TUM. Meine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen aktuell in der Etablierung neuer theranostischer Verfahren in der Nuklearmedizin. In den vergangenen Jahren hat sich zum Beispiel meine Arbeitsgruppe intensiv mit der klinischen Anwendung von sogenannten PSMA-gerichteten theranostischen Markern beschäftigt, welche federführend am Lehrstuhl für radiopharmazeutische Radiochemie in Garching entwickelt wurden. Konkret lässt sich hier etwa die präoperative Markierung von tumorbefallenen Lymphknoten nennen, die dann zielgerichtet mittels „radio guided surgery“ von den Kollegen der Urologie entfernt werden können. Weitere wissenschaftliche Schwerpunkte sind die Evaluation von Biomarkern gegen den „Chemokinrezeptor CXCR4“ bei hämatologischen Erkrankungen, wie Blutkrebs, oder gegen das „Fibroblast Activation Protein“ bei verschiedenen Tumoren.

Das klingt nach viel wissenschaftlicher Grundlagenarbeit. Wie profitieren denn Patient*innen von Ihrer Forschung?
Wer von uns betreut wird, soll frühestmöglich vom medizinischen Fortschritt profitieren. Die Sektion Theranostik ist Teileiner der größten nuklearmedizinischen Kliniken im süddeutschen Raum und bietet alle nuklearmedizinischen Therapieverfahren an. Selbstverständlich liegt uns daran, neue vorklinische Entwicklungen auch rasch im Klinikalltag zu etablieren. Beim Einsatz der PSMA-Radioliganden-Therapie gegen Prostatakrebs waren wir zum Beispiel unter den Vorreitern. Ebenso in der CXCR4-gerichteten Endoradiotherapie bei Leukämien. Auch die Teilnahme an prospektiven Studien sehe ich als wichtigen Teil der Universitätsmedizin – also Studien, die dazu dienen, die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode zu überprüfen. In den vergangenen Jahren haben wir daher zahlreiche Patient*innen in Phase I/II- und III-Studien zur Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms eingeschlossen.

In der Theranostik bewegt sich derzeit unglaublich viel. Woher kommt das?
Die Zahl molekularer Angriffspunkte bei Krebszellen ist riesig, darin liegt ein ungeheures Potenzial. Bezeichnend ist, dass neben bahnbrechenden Entwicklungen in der Wissenschaft in den letzten Jahren vor allem die pharmazeutische Industrie gerade massiv in die Entwicklung und Weiterentwicklung neuer molekularer Marker in der Nuklearmedizin investiert. Das macht unser Fachgebiet so innovativ und spannend. Ich bin mir sehr sicher, dass es in Zukunft weitere nuklearmedizinische Therapien gegen Tumorerkrankungen geben wird, die wir aktuell noch nicht radioaktiv behandeln können.

Herr Prof. Eiber, was treibt Sie persönlich an?
Das Klinikum rechts der Isar ist in ein exzellentes Universitätsumfeld eingebettet und bietet enorme Möglichkeiten, mit herausragenden Personen verschiedener Fachrichtungen klinisch und wissenschaftlich zusammenzuarbeiten. Interdisziplinäre Kooperation sowohl innerhalb der Klinik und Universität als auch mit zuweisenden Kollegen sind mir sehr wichtig – und auch unabdingbar für eine gute Behandlung und wissenschaftliche Erfolge. Ich selbst habe hervorragenden Lehrer*innen und Mentor*innen sowohl am Klinikum als auch außerhalb viel zu verdanken. Auch, dass ich dorthin gelangt bin, wo ich jetzt bin. Nun möchte ich meine Begeisterung für die klinische Arbeit, die Wissenschaft und mein Wissen gern weitergeben.

 

Stichwort Theranostik in der Nuklearmedizin

Beim Prinzip der „Theranostik“ in der Nuklearmedizin profitieren Patient*innen von einer molekularen Diagnostik gefolgt von einer zielgerichteten Therapie. Theranostik in der Nuklearmedizin beschreibt das Prinzip, eine Krankheit mit einem diagnostischen Radiopharmakon bildgebend darzustellen und Patient*innen mit einem chemisch ähnlichen therapeutischen Radiopharmakon zu therapieren – wenn sich eine ausreichende Anreicherung des Radiopharmakons im Tumorgewebe zeigt. Als Ausgangspunkt für ein theranostisches Vorgehen wird Wissen über eine geeignete Eigenschaft eines Tumors benötigt, zum Beispiel über tumorspezifische Oberflächenproteine. In den vergangenen Jahren wurden zum Beispiel verschiedene Biomarker gegen das Prostata-spezifische Membran-Antigen (PSMA) des Prostatakrebs entwickelt,die an PSMA andocken können. Diese lassen sich mit radioaktiven Isotopen sowohl zur Bildgebung als auch zur Therapie kombinieren.

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