Prostatakrebs: Tumorzellen treffsicher und nebenwirkungsarm von innen bestrahlen

Prostatakrebs: Tumorzellen treffsicher und nebenwirkungsarm von innen bestrahlen

Verstreute Krebszellen im ganzen Körper aufspüren und treffsicher bestrahlen: Das ist das Prinzip der PSMA-Radioliganden-Therapie bei fortgeschrittenem Prostatakrebs. Im Kampf gegen Metastasen kommen Medikamente zum Einsatz, die einen radioaktiven Stoff direkt zu und in die Tumorzellen bringen. Und das absolut nebenwirkungsarm. Zum Europäischen Prostatatag am 15. September erklären Nuklearmediziner*innen und Urolog*innen des Universitätsklinikums rechts der Isar in München, wie diese Behandlung funktioniert – und warum eine enge Zusammenarbeit dieser Fachbereiche dabei so wichtig ist.

 

Prostatakrebs ist nach wie vor die häufigste Krebserkrankung bei Männern: Allein in Deutschland wird diese Diagnose mehr als 60.000 Mal pro Jahr gestellt. „Bei den meisten Patienten lässt sich die Erkrankung durch eine Operation oder Strahlentherapie gut heilen“, sagt Prof. Wolfgang Weber, Direktor der Nuklearmedizinischen Klinik am Universitätsklinikum rechts der Isar in München. Bei etwa einem Drittel breiten sich die Krebszellen jedoch über die Prostata hinaus aus: Es bilden sich Metastasen, vor allem in Knochen und Lymphknoten. In diesem fortgeschrittenen Stadium setzen Mediziner*innen meist auf wirksame Medikamente, die die Ausschüttung und Freisetzung männlicher Sexualhormone blockieren. „Die Wirkung dieser Hormontherapie auf die Prostatakrebszellen nimmt im Laufe der Zeit allerdings ab, die Krebszellen beginnen wieder zu wachsen“, sagt Prof. Jürgen E. Gschwend, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Klinikum rechts der Isar. Im weiteren Verlauf kommt dann oft eine Chemotherapie zum Einsatz. „Obwohl diese den Tumor zu Beginn meist sehr gut zurückdrängen kann, lässt auch ihre Wirkung mit der Zeit nach.“ Zudem wirke eine Chemotherapie nicht nur auf Tumorzellen, sondern auf alle schnell wachsenden Zellen, auch auf gesunde – etwa in Knochenmark und Nerven – und kann deshalb auch Nebenwirkungen haben“, ergänzt Frau Prof. Margitta Retz, Leiterin des Bereichs Uro-Onkologie der Klinik und Poliklinik für Urologie.
 

Ein radioaktiver Stoff wird gezielt in Tumorzellen gelotst

Ganz anders verhält es sich bei der PSMA-Radioliganden-Therapie, die Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs helfen kann, bei denen eine Chemo- und Hormontherapie versagte: „Die Wirkung dieser Therapie beruht darauf, einen radioaktiven Stoff gezielt in die Tumorzellen hineinzubringen“, erklärt Weber. „Die Radioaktivität bestrahlt und tötet die Krebszellen dann.“ Dabei macht man sich zunutze, dass Prostatakrebszellen auf ihrer Oberfläche meist eine große Menge eines bestimmten Eiweißes bilden: das Prostata-spezifische Membran-Antigen (PSMA). An der Technischen Universität München (TUM) und an der Universität Heidelberg hat man eine ganze Reihe sogenannter PSMA-Liganden entwickelt. Das sind Moleküle, die wie ein Schlüssel zum Schloss passen: also genau zu den PSMA-Molekülen auf der Oberfläche der Prostatakrebszellen. Sie können also nur an sie binden, nicht an andere Eiweiße.

Voraussetzung für die Therapie ist, dass die Prostatakrebszellen PSMA herstellen“, erklärt Prof. Matthias Eiber, Leiter der Sektion Theranostik der Nuklearmedizinischen Klinik. „Theranostik“ meint nuklearmedizinische Verfahren, die sich sowohl für Therapie als auch Diagnostik nutzen lassen. Der Einsatz von PSMA-Radioliganden ist so ein Verfahren: In geringer Menge verabreicht und mit einer sogenannten Positronenemissionstomografie (PET) kombiniert, lässt sich damit zunächst herausfinden, ob Prostatakrebszellen bei einem Patienten viele PSMA-Moleküle tragen: In diesem Fall reichert sich Radioaktivität in den Tumorzellen an. Macht die PET-Kamera diese Anreicherung sichtbar, kann die Therapie beginnen. Wie bei allen modernen Krebstherapien ist dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen Spezialist*innen verschiedener Fachbereiche sehr wichtig. So wenden sich Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs, bei denen andere Therapien nicht mehr wirken, meist zunächst an Urolog*innen. „Eine ausführliche Beratung über die verschiedenen Möglichkeiten, die auch Behandlungen mit radioaktiven Stoffen sein können, ist für die Patienten sehr wichtig“, sagt Retz. Im Klinikum rechts der Isar treffen sich Urolog*innen und Nuklearmediziner*innen daher mehrmals pro Woche zu gemeinsamen Fallbesprechungen. Patienten werden teils auch gemeinsam beraten.
 

Die Therapie ist sicher und sehr gut verträglich

Eingesetzt werden dabei meist Medikamente, die Lutetium-177 enthalten, einen radioaktiven Stoff. Die Behandlung erfolgt stationär: Am ersten Tag erhält der Patient eine Infusion mit dem radioaktiven Medikament 177Lu-PSMA. „So können die Radioliganden über die Blutbahn alle Tumorzellen im Körper erreichen“, erklärt Eiber. Dort docken sie erst an PSMA-Moleküle auf den Krebszellen an und werden dann von diesen Zellen aufgenommen – zusammen mit dem radioaktiven Stoff. „Genau diese Radioaktivität bestrahlt und tötet die Tumorzellen sehr zielgenau“, erklärt Weber. Die Strahlung reicht dabei weniger als einen Millimeter weit. „Dadurch werden praktisch nur Zellen bestrahlt, die PSMA bilden.“ Das wiederum minimiert Nebenwirkungen massiv.

Nach der Infusion müssen Patienten 48 Stunden in der Klinik bleiben. So lange dauert es, bis Reste des radioaktiven Medikaments, das sich nicht in Tumorzellen angereichert hat, ausgeschieden sind. Diese Maßnahme schützt Angehörige und auch die Umwelt vor Strahlung. Danach dürfen die Patienten wieder nach Hause. Die Behandlung wird alle vier bis sechs Wochen wiederholt, in der Regel bis zu sechs Mal. Wie gut die Therapie wirkt, prüft man etwa alle drei Monate mittels PET-Untersuchungen und bestimmt den sogenannten PSA-Wert im Blut (Prostataspezifisches Antigen, PSA). Die meisten Patienten vertragen die Therapie mit dem Radioliganden 177Lu-PSMA sehr gut. „Am Tag nach der Behandlung berichten einige Patienten über Übelkeit und Appetitlosigkeit“, sagt Eiber. „Das normalisiert sich aber in der Regel schon am zweiten Tag.“ Auch zu einer leichten Mundtrockenheit kann es einige Tage nach der Therapie kommen. Diese verschwindet jedoch meist nach zwei bis drei Wochen wieder. Hat ein Patient viele Knochenmetastasen, kann zudem die Zahl der Blutplättchen und der weißen Blutkörperchen abfallen. Doch auch das normalisiere sich in der Regel von selbst.
 

Längeres Überleben, bessere Lebensqualität

Bislang ist ein klinischer Nutzen der Radioliganden-Therapie nur für Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs belegt, die bereits eine Chemo- und Hormontherapie erhalten haben und bei denen der Krebs wieder begonnen hat zu wachsen. Wie gut Patienten die Therapie vertragen und wie sie davon profitieren, zeigen die aktuellen Ergebnisse einer internationalen Studie mit mehr als 830 Probanden, an der auch die Fachbereiche Urologie und Nuklearmedizin des Klinikums rechts der Isar beteiligt waren. Bei ihnen führte die Behandlung im Schnitt zu einem um vier Monate längeren Überleben. Die Zeit, in der die Erkrankung nicht weiter voranschritt, verlängerte sich sogar um etwas mehr als fünf Monate.

Ob die Therapie womöglich schon früher eingesetzt werden sollte, wird derzeit in weiteren Studien untersucht, an denen ebenfalls die Urologie und Nuklearmedizin des Klinikums rechts der Isar beteiligt sind. Mindestens ebenso wichtig als ein längeres Überleben dürfte für Patienten aber ein anderer Aspekt sein: „Die Therapie verbessert auch die Lebensqualität deutlich“, sagt Weber. Behandelte Patienten fühlten sich nicht nur wieder deutlich leistungsfähiger. Auch Schmerzen durch Knochenmetastasen ließen damit oft nach oder verschwänden ganz. Voraussetzung dafür ist aber, dass Patienten, die von dieser Therapie profitieren könnten, überhaupt davon erfahren – vor allem von ihren behandelnden Urolog*innen. Im Klinikum rechts der Isar klappt das sehr gut, dank einer engen Zusammenarbeit von Urologie und Nuklearmedizin.

Behandlung eines Patienten

Behandlung eines Patienten
Foto: Klinikum rechts der Isar

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 
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