Weniger Sedativa für Heimbewohner: 260.000 Euro Förderung

Weniger Sedativa für Heimbewohner: 260.000 Euro Förderung

Das Bayerische Gesundheitsministerium fördert eine Studie unter Leitung von Prof. Janine Diehl-Schmid, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, mit rund 260.000 Euro. Ziel ist ein verantwortungsbewusster Einsatz sedierender Psychopharmaka in Pflegeheimen, mit denen eine dämpfende Wirkung auf das zentrale Nervensystem hervorgerufen wird. „Reduktion sedierender Psychopharmaka bei Heimbewohnern und Mietern in ambulant betreuten Wohngemeinschaften mit fortgeschrittener Demenz", so der ausführliche Name des DECIDE-Projekts. Durchgeführt wird die Studie von Prof. Janine Diehl-Schmid in Kooperation mit Monika Trojan, beide vom Klinikum rechts der Isar. Prof. Diehl-Schmid ist leitet das Zentrum für Kognitive Störungen am Klinikum, das sich auf die Früh- und Differenzialdiagnostik von Menschen mit Hirnleistungsstörungen spezialisiert hat. Trojan ist als Fachapothekerin für klinische Pharmazie in der Klinikapotheke tätig.

Prof. Diehl-Schmid, Leiterin des Zentrums für kognitive Störungen am Klinikum rechts der Isar, verantwortet auch das DECIDE-Projekt für einen verantwortungsbewussten Einsatz sedierender Psychopharmaka in Pflegeheimen

Prof. Diehl-Schmid, Leiterin des Zentrums für kognitive Störungen am Klinikum rechts der Isar, verantwortet auch das DECIDE-Projekt für einen verantwortungsbewussten Einsatz sedierender Psychopharmaka in Pflegeheimen

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml betonte: „Bei 40 Prozent der Heimbewohner mit Demenz werden sedierende Psychopharmaka verordnet. Diese Medikamente haben viele Nebenwirkungen und müssen daher besonders zurückhaltend eingesetzt werden. Deshalb fördern wir ein Projekt, um den Einsatz von sedierenden Psychopharmaka bei dementen Bewohnern von Pflegeheimen und ambulant betreuten Wohngemeinschaften in Bayern zu reduzieren.“ Im Rahmen des Projekts sollen Fortbildungen und Informationsveranstaltungen angeboten werden. Außerdem ist eine Website mit umfangreichen Informationen geplant. Außerdem wird eine Arzneimittelüberprüfung bei allen Bewohner*innen mit Demenz in 60 bayerischen Heimen beziehungsweise ambulanten Wohngemeinschaften stattfinden. Hierbei sollen mögliche Wechselwirkungen analysiert und individuelle Optimierungsempfehlungen für den behandelnden Arzt gegeben werden. Das Ergebnis der Arzneimittelüberprüfung wird aus neurologisch / psychiatrischer und pharmazeutischer Sicht kommentiert und den Einrichtungsleitungen zur Verfügung gestellt.

Studienleiterin Prof. Janine Diehl-Schmid über die Besonderheiten des DECICE-Projekts und die Ziele:

 

Frau Prof. Diehl-Schmid, warum ist diese Studie nötig?

Prof. Diehl-Schmid: Die Zahlen zur Verordnungsprävalenz sedierender Psychopharmaka bei Menschen mit Demenz (MmD) im Heim in Deutschland liegen bei rund 40 Prozent. Andere Länder, insbesondere in Skandinavien, kommen mit weniger Sedativa aus. In Deutschland wird zu wenig auf die Problematik geachtet. Die Vorzüge der Gabe von Sedativa werden den vielfältigen Nachteilen übergeordnet. Denn die Betreuung und Versorgung von Menschen mit Demenz gestaltet sich einfacher, wenn sie sedierende Medikamente erhalten. DECIDE hat das Ziel, die Verschreibungshäufigkeit von sedierenden Psychopharmaka bei Bewohner*innenn der stationären Langzeitpflege bzw. der ambulant betreuten WGs in Bayern nachhaltig zu reduzieren. Durch die Förderung des Bayerischen Gesundheitsministeriums ist es uns möglich, eine wirklich groß angelegte Offensive zu starten! Wir wollen alle bei der Verschreibung der Sedativa beteiligten Akteure sensibilisieren – eben u.a. mit den Besuchen und individuellen Arzneimittelprüfungen in den Heimen / WGs aber auch durch Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildungen, Weiterbildungen, Fachtagen, Informationen für medizinische Laien und die Gründung einer Initiative zum verantwortungsbewussten Umgang mit sedierenden Psychopharmaka in der Altenpflege

Welche Einrichtungen nehmen teil?

Prof. Diehl-Schmid: Heime und ambulant betreute Wohngemeinschaften werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. So wollen wir vermeiden, dass vorwiegend Heime an der Untersuchung teilnehmen, in denen ohnehin alles super läuft. Die Auswahl erfolgt nach vorgegebenen Quoten. Es werden so viele Heime / WGs angefragt wie notwendig, um die Zahlen zu erreichen Bei Nicht-Teilnahme wird der Grund erfragt und dokumentiert.

Städtisch (z.B. München, Erding, Ingolstadt): 15 

Landkreise (z.B. Landkreis München, Landkreis Erding, Landkreis Ebersberg): 15

Bayerische Regierungsbezirke, Schwerpunkt Oberbayern: 20

Ambulant betreute Wohngemeinschaften: 10 in ganz Bayern

Nach welchen Kriterien beurteilen Sie, welche Patient*innen Sedativa benötigen?

Prof. Diehl-Schmid: Eine Reduktion bzw. ein Ausschleichen wird erstens empfohlen, falls bedenkliche Arzneimittelinteraktionen festgestellt werden. Zweitens machen wir uns ein Bild vom Befinden des Menschen mit Demenz aktuell und im letzten halben Jahr anhand der Bewohnerunterlagen. Insbesondere interessiert uns das Ausmaß der neuropsychiatrischen Symptome, z.B. Unruhe, Ängste, Schlafstörungen, wegen derer der Patient die sedierenden Psychopharmaka erhält. Sollten sich die Symptome unter Medikation erkennbar gebessert haben und der Mensch mit Demenz über drei bis vier Monate stabil gewesen sein, so empfehlen internationale Handlungsempfehlungen und Leitlinien, einen Ausschleichversuch zu unternehmen. Ein dritter Grund für die Empfehlung zu einem Ausschleichversuch ist, wenn sich herausstellen sollte, das neuropsychiatrische Symptome nicht behandelt werden, weil sie für den Bewohner belastend sind, sondern weil sie die Pflege bzw. Betreuung aufwändiger machen. Die Notwendigkeit für Sedativa sehen wir gegeben, wenn die neuropsychiatrische Symptomatik unter der Medikation nicht deutlich gebessert ist, stark schwankt oder wenn es bei einem schon einmal durchgeführten Ausschleichversuch zum Wiederauftreten der Symptome gekommen ist.

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