Wie wir mit Pandemien umgehen

Wie wir mit Pandemien umgehen

Prof. Dr. Ulrike Protzer, Direktorin der Institute für Virologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universtität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München, ist Mitglied des Expertenrats zur Corona-Krise der Bayerischen Staatsregierung. Sie hat einen lesenwerten Text über den Umgang mit Pandemien verfasst, der auch im TUM-Sammelband "Denkanstöße für die Zeit nach Corona" (kostenloser Download) erschienen ist:

Gerade zu Beginn einer Epidemie wird die Schwere und die Sterblichkeit einer Erkrankung häufig überschätzt. Das hängt zum einen damit zusammen, dass typischerweise zu allererst die schweren Verlaufsfälle auffallen oder eine Häufung von Todesfällen, für die man dann eine gemeinsame Ursache findet. Nicht immer sind die Ursachen von Epidemien oder Pandemien aber wirklich neu – die Geschichte zeigt uns, dass viele Infektionskrankheiten in Wellen wieder auftreten.

Prof. Dr. Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universtität München (TUM), ist Mitglied des Expertenrats zur Corona-Krise der Bayerischen Staatsregierung

Prof. Dr. Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universtität München (TUM), ist Mitglied des Expertenrats zur Corona-Krise der Bayerischen Staatsregierung

Ausrufung einer Pandemie durch die WHO

Unter einer Epidemie versteht man eine örtlich beschränkte, unter einer Pandemie eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Krankheit bzw. Infektionskrankheit des Menschen. Aber auch bei einer Pandemie kann es durchaus Gebiete geben, die nicht oder noch nicht von der Krankheit betroffen sind – charakteristisch ist die weltweite Ausbreitung. Die Ausrufung einer Pandemie erfolgt seit 2017 durch den Generaldirektor der WHO. Die Ausrufung einer Pandemie sagt per se aber noch nichts über den Schweregrad einer Erkrankung, über ihre Sterblichkeit (Letalität) oder über die Langzeitfolgen aus.

Seit dem Beginn unserer Zeitrechnung bis ins 18. Jahrhundert rafften die Pest, die Pocken, der „Englische Schweiß“ oder hämorrhagische Fieber in Wellen signifikante Teile der Bevölkerung dahin. Im 19. Jahrhundert dominierten Cholera, Typhus und die Grippe die Epidemien, bis am Übergang zum 20. Jahrhundert eine von China ausgehende Pest-Pandemie in 18 Jahren fast zwölf Millionen Menschenleben forderte. Es folgte um den Ersten Weltkrieg die Spanische Grippe als bisher bedeutendste Pandemie mit geschätzt 25–50 Millionen Opfern innerhalb von nicht einmal drei Jahren.

Antibiotika, Hygiene und Impfungen

Solch große Wellen an Infektionserkrankungen blieben der Menschheit seitdem erspart, weil sich nicht nur die Möglichkeiten der Behandlung bakterieller Infekte durch Antibiotika sondern auch die Prävention von Infektionen durch Hygienemaßnahmen und die Verfügbarkeit von Impfungen deutlich verbessert hat. Damit nahm auch die Bedeutung von Infektionserkrankungen in der Wahrnehmung der Menschen ab, obwohl chronische Infektionserkrankungen wie die Tuberkulose, die Hepatitis B und C, HIV-Infektionen, die Malaria genauso wie antibiotikaresistente Bakterien immer noch über 5 Millionen Menschen jährlich das Leben kosten. Aber diese Infektionserkrankungen sind eben nicht so spektakulär wie die großen Pandemien der letzten Jahrhunderte, und man glaubte in der hochentwickelten, westlichen Welt schon fast vor Infektionserkrankungen gefeit zu sein.

Die aktuelle SARS-Coronavirus Pandemie hat uns jetzt plötzlich und schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir keineswegs vor neu- oder wiederauftretenden Infektionserkrankungen gefeit sind. Ganz im Gegenteil begünstigt unsere Lebensweise zunehmend deren Ausbreitung. Das Vordringen des Menschen in die Lebensräume der Tiere begünstigt die Übertragung von Infektionen von Tieren auf den Menschen, weitläufig als Zoonosen bezeichnet. Der Klimawandel und die zunehmend wärmeren Winter erlauben Insekten sich in gemäßigte Klimazonen auszubreiten. Sie können Viren und Parasiten übertragen, sodass sich auch diese oft schweren, fieberhaften Erkrankungen weiter ausbreiten. Der wichtigste Aspekt ist aber, dass das enge Zusammenleben von Menschen in den wachsenden Millionen-Metropolen dieser Welt die rasche Ausbreitung von Infektionen begünstigt, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind. Hinzu kommt die ausgeprägte, weltweite Reise- und Handelstätigkeit, die eine rasante Verbreitung von Infektionen um die Welt ermöglicht. Viren kennen keine Grenzen und reisen unbemerkt einfach mit uns mit.

Starke Infektionsforschung nötig

Welche Waffen bleiben uns dann, um mit Infektionserkrankungen umgehen zu können, und uns auf kommende Pandemien besser vorzubereiten? Grundsätzlich besteht unser Armentarium aus Kontaktvermeidung und Hygiene, Impfungen und antiviralen Medikamenten bzw. Antibiotika. Aus wirtschaftlichen Erwägungen kann die Kontaktminimierung und eine damit verbundene massive Einschränkung von Handel und Produktion nur eine Ultima Ratio darstellen, die es zu vermeiden gilt. Dafür braucht es eine starke Infektionsforschung – von der Grundlagenforschung über die translationale bis hin zur klinischen Forschung – die breit die potenziellen Erreger-Gruppen abdeckt. Wichtig ist die Fokussierung auf neue Impfstoffe bzw. Impfstrategien, die man bei Bedarf schnell aktivieren und einsetzen kann. Genauso wichtig ist es aber, neue Antibiotika und wirksame Medikamente auch gegen Viren, die nicht so verbreitet sind, zu finden. Da sich damit nicht gut Geld verdienen lässt, wird das eine Domäne der öffentlich-geförderten Forschung bleiben müssen.

Früherkennung und weltweite Zusammenarbeit

Die Früherkennung neuer bzw. wiederkehrender Infektionen ist sicher ein ebenso essenzielles Element, um die Ausbreitung von Infektionen zu verhindern. Die Benennung mit lokalen Namen, wie z.B. „Spanische Grippe“ oder „Mexiko- Grippe“ ist irreführend, da sie die lokale Begrenzung eines Problems suggeriert, das sicherlich ein globales Problem ist. Das bedeutet, es ist essenziell – im Fall eines Ausbruchs eine enge, weltweite Zusammenarbeit und eine schnelle Kommunikation genauso wie gute, diagnostische Werkzeuge etabliert zu haben und rasch einsetzen zu können. Das bedeutet aber auch, übertragbaren Erkrankungen weiterhin einen hohen Stellenwert einzuräumen – sei es denen, die Jahr für Jahr Millionen Menschen das Leben kosten, aber an die wir uns gewöhnt haben, genauso wie denen, die es gilt im Keim zu ersticken, sobald sie auftreten. Diese Aufgabe wird die Weltgemeinschaft nur gemeinsam bewältigen können mit finanzieller Unterstützung der reichen und in Zusammenarbeit mit den nicht so privilegierten Ländern – frei nach dem Motto „humanity first“!

 

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