„Wir haben einen enormen Versorgungsauftrag“

„Wir haben einen enormen Versorgungsauftrag“

Interview mit Prof. Tilo Biedermann zum 50-Jährigen Jubiläum der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein.

Prof. Biedermann

Prof. Tilo Biedermann

Wirksamere Therapien, steigende Patientenzahlen – 50 Jahre nach ihrer Gründung wachsen die Anforderungen an die Dermatologische Klinik und Poliklinik am Biederstein ständig. Tilo Biedermann, seit 2014 Direktor der Klinik, erklärt, wie sich sein Fach und der Klinikalltag verändert haben.

Herr Prof. Biedermann, Sie arbeiten in einem altehrwürdigen Gebäude am Englischen Garten. Ist so ein historisches Haus hinsichtlich der Bedürfnisse des modernen Medizinbetriebs eher Freud oder Leid?

Es ist nicht einfach, ein altes Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, funktionell zeitgemäß zu verändern. In den ersten 15 Jahren gab es viele Umbaumaßnahmen und neue Gebäude, die der Klinik zugeschlagen wurden. Und auch heute renovieren und ergänzen wir ständig. Unsere Patienten sind jedoch sehr dankbar für dieses Haus und seine Lage. Sie sind hier mehr unter sich und fühlen sich mit ihrer erkrankten Haut weniger exponiert.

Dermataologie am Biederstein

Außenansicht der Dermatologie am Biederstein

Wie hat sich die Dermatologie in all den Jahren verändert?

Wo wir früher Krankheitsbilder nur beschrieben haben, verstehen wir heute, was ihnen zugrunde liegt. Die Therapien haben sich enorm verbessert. Gegen Volkskrankheiten wie Schuppenflechte oder Neurodermitis etwa haben wir mit den Biologika, genetisch hergestellten Antikörpern, einen ganzen Strauß sehr wirksamer Medikamente zur Verfügung, die selbst schwerstkranken Patienten eine bessere Lebensqualität verschaffen. Beim Hautkrebs kennen wir Hebel für Therapieansätze. Es gibt hier neben der Immuntherapie mittels Antikörpern zahlreiche Behandlungsmethoden, die sehr vielen Menschen ein langfristiges Überleben sichern.

Vor welchen Herausforderungen steht Ihr Haus gegenwärtig?

Ein großer Faktor, der unser Fach verändert, ist die demografische Entwicklung. Wenn vor 50 Jahren ein Patient mit Achtzig etwas Besonderes war, so behandeln wir heute Hundertjährige. Wir versorgen mehr Hauterkrankungen, die speziell im Alter auftreten, weil die Menschen älter werden. Wir sehen auch deutlich mehr ältere Patienten mit multiplen komplexen Erkrankungen, die der stationären Versorgung bedürfen. Doch wir betreuen natürlich auch mehr Menschen, weil es gelingt, sie über viel längere Zeiträume am Leben zu halten: Ein Patient mit fortgeschrittenem Melanom hatte vor 50 Jahren eine Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten. Heute können viele solcher Patienten langfristig behandelt oder sogar gerettet werden. Das ist ein wahnsinniger Erfolg! Wenn man dann überlegt, dass ein blauäugiger, blonder Mensch, der mit Mitte 60 eine Glatze hatte, mit 85 Jahren fast 100-prozentig Hautkrebs bekommt, zeigt das, dass wir einen enormen Versorgungsauftrag haben.

Es gibt auch andere Krankenhäuser…

Kreiskliniken haben keine Dermatologie. Bei uns stellen sich Patienten aus ganz Südbayern vor. Die Schwererkrankten landen immer hier, weil es nirgendwo sonst eine Versorgung für sie gibt. Das ist für unsere tägliche Planung eine ziemliche Herausforderung: Etwa die Hälfte unserer Patienten kommt quasi als Notfall mit einer akuten schweren Erkrankung zu uns.

Welche Schwerpunkte haben Sie seit Ihrem Amtsantritt gesetzt?

Natürlich wollen wir auf allen Gebieten vorn mitspielen. Die Allergologie war immer schon stark an der Klinik und wir sind da weiter vorne. Mir persönlich war es sehr wichtig, auch den Bereich der chronisch entzündlichen Hauterkrankungen und der Dermatoonkologie weiter auszubauen. Da ist viel Bewegung entstanden.  

Welche speziellen Vorteile bieten Sie Patienten als Uniklinik?

Wir haben eine der größten Studienambulanzen in Süddeutschland, was die Versorgung mit modernen, erst in Studien erhältlichen Therapien betrifft. Die Dermatologie ist momentan ein hochinnovatives Feld. Über die Teilnahme an Studien erhalten unsere Patienten Medikamente, die vielleicht erst in zwei bis drei Jahren zugelassen werden. Im Fall der Neurodermitis profitieren sie schon jetzt von den Medikamenten der nächsten Generation.

Unsere Tumorpatienten behandeln wir von der Vorsorge über Operation, Nachsorge und, wenn es nötig ist, auch einschließlich einer Systemtherapie. Als zertifiziertes Hautkrebszentrum und als Teil des Comprehensive Cancer Centers München sind wir stark interdisziplinär vernetzt, um Patienten die modernsten und wirkungsvollsten Behandlungsverfahren zu ermöglichen. Im März 2017 wurde unser Comprehensive Allergy Center (ACTUM) zertifiziert, zu dem mehrere Kliniken der TU München beitragen, die ebenfalls Allergiepatienten behandeln. So können wir schnell und effizient immer den Spezialisten einbinden, der zur optimalen Behandlung eines Patienten nötig ist.

Tätowierungen heißen heute Tattoos und sind hipper als vor 50 Jahren. Bringt das neue „Kundschaft“ in Ihre Sprechstunden?

Wir sehen tatsächlich sehr regelmäßig Patienten, die Probleme mit ihren Tätowierungen haben. Bei einigen entsteht bereits beim Stechen der Tätowierung eine Entzündung, andere reagieren allergisch auf die Farbstoffe und wieder andere wollen ihr Tattoo gern loswerden. Motive auf Rücken oder Hüfte – vor einigen Jahren sehr in Mode – will heute „keiner mehr haben“. Mit unserem großen Laserfuhrpark helfen wir auch in solchen Fällen. Das ist nicht unser Kerngebiet, aber wir bilden ja künftige Dermatologen aus.

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 

Klinik und Poliklinik für

Back to top