Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus: Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien verbessern

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus: Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien verbessern

Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals Forschende des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) und des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die Studie im Fachmagazin „Nature" liefert Ansatzpunkte für neue Krebs-Immuntherapien, und könnte bestehende Behandlungen effektiver machen. Eine zweite Arbeit in „Nature” bestätigt die Erkenntnisse.

Bei Krebserkrankungen bremsen Tumore oft die Immunabwehr des Körpers aus. Sie können beispielsweise dafür sorgen, dass Immunzellen Krebszellen nicht als Bedrohung wahrnehmen oder sie inaktiv machen. Immuntherapien zielen darauf ab, diese Mechanismen auszuhebeln und das Immunsystem, insbesondere die T-Zellen, zu stimulieren. Bei einer großen Zahl an Betroffenen schlagen solche Therapien allerdings nicht an. Weltweit suchen Forschende nach den Ursachen und neuen Gegenstrategien.

Botenstoff stoppt Weiterentwicklung von T-Zellen im Tumor 

Ein Team um Dr. Jan Böttcher, Forschungsgruppenleiter am Institut für Molekulare Immunologie des Klinikums rechts der Isar der TUM, und Prof. Sebastian Kobold, stellvertretender Direktor der Abteilung Klinische Pharmakologie am LMU Klinikum München, hat jetzt herausgefunden, dass Tumore mit einem Botenstoff Immunzellen in einer frühen Phase der Immunantwort beeinflussen. Viele Krebszellen schütten verstärkt den Botenstoff Prostaglandin E2 aus. Die Forschenden konnten nachweisen, dass Prostaglandin E2 an EP2 und EP4, zwei Rezeptoren auf der Oberfläche bestimmter Immunzellen bindet.

Diese sogenannten stammzellartigen T-Zellen, wandern aus anderen Bereichen des Körpers in den Tumor. Bei einer erfolgreichen Immunantwort vermehren sie sich dort und entwickeln sich zu zytotoxischen T-Zellen weiter, die den Krebs attackieren. „All das wird ausgebremst, wenn Tumore Prostaglandin E2 ausschütten und dieses an die Rezeptoren EP2 und EP4 bindet“, sagt Jan Böttcher. „Die T-Zell-Antwort kollabiert gewissermaßen und der Tumor kann ungehindert wachsen.“ Verhinderten die Forschenden in Tumormodellen die Interaktion von Botenstoff und Rezeptor, konnte das Immunsystem Tumore effektiv bekämpfen.

 

Viele Tumore schütten Prostaglandin E2 aus. So verhindern sie, dass sich stammzellartige T-Zellen zu Zellen ausdifferenzieren, die den Krebs angreifen. Dr. Jan Böttcher (l.) und Erstautor Sebastian Lacher haben den Mechanismus dahinter entschlüsselt. Foto: Astrid Eckert, TUM

Viele Tumore schütten Prostaglandin E2 aus. So verhindern sie, dass sich stammzellartige T-Zellen zu Zellen ausdifferenzieren, die den Krebs angreifen. Dr. Jan Böttcher (l.) und Erstautor Sebastian Lacher haben den Mechanismus dahinter entschlüsselt. Foto: Astrid Eckert, TUM

Bisherige Therapien setzen an späterem Punkt der Immunantwort an

„Wir haben einen Mechanismus entdeckt, der die Immunabwehr des Körpers in einer entscheidenden Phase beeinflusst“, sagt Jan Böttcher. „Viele Tumore verhindern so, dass sich aus den stammzellartigen T-Zellen überhaupt zytotoxische T-Zellen im Tumor bilden, die den Krebs attackieren könnten."

Aktuelle Immuntherapien setzen darauf, die Abschaltung von Immunantworten durch den Krebs erst an einem späteren Punkt der Immunantwort zu verhindern. Checkpoint-Inhibitor-Therapien haben beispielsweise zum Ziel, die Blockade von fertig ausdifferenzierten zytotoxischen T-Zellen zu lösen und diese wieder „scharfzuschalten“. Bevor die gefürchtete T-Zell-Erschöpfung einsetzt, die andere Forschende zu verhindern versuchen, müssen ebenfalls ausdifferenzierte T-Zellen vorhanden sein.

Effektivität bestehender Therapien lässt sich steigern

„Heutige Behandlungsansätze würden vermutlich effektiver, wenn die Auswirkungen des Prostaglandin E2 auf stammzellartigen T-Zellen blockiert würde, so dass sich diese sich ungehindert im Tumor ausdifferenzieren können“, sagt Sebastian Kobold.

Das gilt nicht zuletzt für Ansätze aus der jüngsten Vergangenheit, die darauf setzen, T-Zellen mit dem Protein IL-2 anzuregen. Die aktuelle Studie zeigt, dass T-Zellen sobald das Prostaglandin E2 an die beiden Rezeptoren bindet, nicht mehr auf IL-2 reagieren. „Wir vermuten, dass sogar körpereigene IL-2-Signale ausreichen können, um T-Zellen erfolgreich gegen Krebs vorgehen zu lassen, sobald die Auswirkungen des Prostaglandin-E2 gestoppt sind“, sagt Sebastian Kobold.

Zweite Studie in „Nature“ bestätigt Ergebnisse 

In „Nature“ ist eine zweite Forschungsarbeit erschienen, in der die Auswirkungen von Prostaglandin E2 auf das Immunsystem untersucht werden. Die Autorinnen und Autoren des Artikels, Forschende des Universitätsklinikums Lausanne, kooperierten hierfür mit dem Münchner Team. Sie untersuchten unter anderem im Labor T-Zellen aus menschlichen Tumorgewebeproben. Blockierten sie die Ausschüttung von Prostaglandin E2 in dem Gewebe, vermehrten sich die T-Zellen stärker und konnten dadurch menschliche Krebszellen effektiver bekämpfen.

Suche nach Gegenstrategien beginnt

„Wir haben nun einen konkreten Ansatzpunkt, um Immuntherapien deutlich zu verbessern", sagt Jan Böttcher. „Jetzt müssen Forschende weltweit Strategien entwickeln, um die Verteidigung der Tumore auszuhebeln. Wir müssen die Effekte von Prostaglandin E2 stoppen – sei es, indem wir Tumore davon abhalten, das Molekül zu bilden, oder indem wir Immunzellen dafür unempfänglich machen.“

 

Weitere Informationen:
Die Studie wurde gefördert durch das Elitenetzwerk Bayern, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Wilhelm-Sander Stiftung und das Internationale Doktorandenkolleg i-Target: Immunotargeting of Cancer.

 

Dr. Jan Böttcher ist Forschungsgruppenleiter am Institut für Molekulare Immunologie am Klinikum rechts der Isar der TUM. Foto: Astrid Eckert, TUM

Dr. Jan Böttcher ist Forschungsgruppenleiter am Institut für Molekulare Immunologie am Klinikum rechts der Isar der TUM. Foto: Astrid Eckert, TUM

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 

Wissenschaftliches Institut für

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