Premiere: Krebspatient (72) mit neuer Zelltherapie erfolgreich behandelt

Premiere: Krebspatient (72) mit neuer Zelltherapie erfolgreich behandelt

Ein 72-jähriger Patient leidet an einem aggressiven Lymphdrüsenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Intensive Chemotherapien haben ihm nur kurzfristig geholfen, eine Antikörpertherapie verspricht nur eine vorübergehende Wirkung. Doch jetzt gibt es eine neue Hoffnung: Expert*innen am Universitätsklinikum rechts der Isar führten bei diesem Patienten eine neue Zelltherapie durch, um seinen Gesundheitszustand langfristig zu stabilisieren. Bei dieser CAR-T-Zelltherapie bekommen Erkrankte ihre eigenen, allerdings im Labor genetisch modifizierten Immunzellen verabreicht. Es ist eine Premiere für das Klinikum rechts der Isar – und der Auftakt für weitere Behandlungen dieser Art. Doch was genau steckt hinter einer solchen Therapie? Für wen ist sie überhaupt geeignet? Welche Risiken birgt sie? Ein Experten-Interview mit Prof. Angela Krackhardt, die das Team für die Spezifische Zelltherapie an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III (Direktor: Prof. Florian Bassermann) leitet, zusammen mit Privat-Dozent Dr. Simon Heidegger.

Bei einer CAR-T-Zelltherapie erhalten Erkrankte ihre eigenen, im Labor genetisch modifizierten Immunzellen

Bei einer CAR-T-Zelltherapie erhalten Erkrankte ihre eigenen, im Labor genetisch modifizierten Immunzellen

Was genau passiert bei einer CAR-T-Zelltherapie?

Bei dieser Therapie bringt man körpereigene Immunzellen dazu, gezielt Krebszellen aufzuspüren und zu attackieren. Dazu werden zunächst T-Zellen, also T-Lymphozyten, aus dem Blut der Patient*innen gewonnen. Das geschieht mit einem Verfahren ähnlich der Blutwäsche, Apherese genannt. Diese T-Zellen werden dann im Labor mit dem Gen für den chimären Antikörper-Rezeptor, kurz CAR, aufgerüstet – und dadurch zu „CAR-T-Zellen“. Besagte Zellen werden nun vermehrt und dem jeweiligen Erkrankten später per Infusion zurückgegeben. Mit diesem Rezeptor aufgerüstet, steuern die T-Zellen jetzt sehr gezielt Tumorzellen an und zerstören sie.

Für wen ist die neue Therapie geeignet?

Aktuell sind diese Therapien bei Patient*innen mit bestimmten Formen des Lymphdrüsenkrebs und jungen Erwachsenen sowie Kindern mit einer bestimmten Form der akuten Leukämie zugelassen. In der Tat werden diese Therapien erst in fortgeschrittenen Stadien angewendet, wenn etwa Chemotherapien versagen, die grundsätzlich gut wirksam sind. Derzeit werden aber auch klinische Studien durchgeführt, die schon eine Anwendung zu früheren Zeitpunkten prüfen. Darüber hinaus wird demnächst auch eine Zulassung beim multiplen Myelom erwartet, eine der häufigsten Formen des Knochenkrebses. Wir prüfen derzeit in klinischen Studien auch andere, ähnlich aufwendige Formen der spezifischen Zelltherapie, und hoffen, unseren Patient*innen damit auch bei anderen sehr weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen helfen zu können.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

Zelltherapien haben bei Erkrankungen, bei denen es sonst kaum oder keine Behandlungsoptionen mehr gibt, erstaunliche Ansprechraten gezeigt. So konnten beim aggressiven Lymphom im fortgeschrittenen Stadium Ansprechraten von mehr als 50 Prozent erreicht werden. Bei der akuten lymphatischen Leukämie liegen diese sogar noch deutlich höher. Bei Lymphompatient*innen sehen wir im Durchschnitt eine Lebensverlängerung von etwa einem Jahr im Vergleich zu anderen Therapien; bei vier von zehn Patient*innen auch eine langjährige Krankheitskontrolle. Insbesondere bei den Leukämien gibt es häufig ein lang anhaltendes Ansprechen. Es ist sehr gut möglich, dass diese Therapieform bei frühzeitiger Anwendung noch bessere Ergebnisse erzielt.

 Privat-Dozent Dr. Simon Heidegger, Prof. Florian Bassermann, Prof. Angela Krackhardt und Dr. Alexander Biederstädt (v.li.)

Privat-Dozent Dr. Simon Heidegger, Prof. Florian Bassermann, Prof. Angela Krackhardt und Dr. Alexander Biederstädt (v.li.)

Mit welchen Nebenwirkungen muss man rechnen?

Bei der CAR-T-Zelltherapie gibt es sehr besondere Nebenwirkungen. Man erwartet vor allem Nebenwirkungen, die durch die Freisetzung von Botenstoffen durch das Immunsystem auftreten, also das sogenannte Zytokin-Sturm-Syndrom. Das kann alle Organe schädigen. Dazu gehören typischerweise auch neurologische Nebenwirkungen. Weiterhin gibt es Nebenwirkungen, die durch die gezielte Zerstörung gesunder Zellen verursacht werden – Zellen, die die gleiche Zielstruktur tragen wie die Tumorzellen. Darüber hinaus kann die vorbereitende Chemotherapie Nebenwirkungen verursachen; hierbei handelt es sich insbesondere um Infektionen. Auch Fehlregulationen des Immunsystems kommen vor. Die Nebenwirkungen treten meist in den ersten sechs Wochen nach der Therapie auf, wobei die ersten beiden Wochen am kritischsten sind. Manche Patient*innen müssen auch für eine gewisse Zeit auf der Intensivstation behandelt werden, wobei der Zeitraum in der Regel relativ kurz ist – und die Nebenwirkungen meist reversibel sind, sprich: Es bleiben keine Schäden.

Ist das also die Therapie der Zukunft?

Derzeit werden viele neue CAR-T-Zellen in klinischen Studien getestet und stehen zum Teil auch schon kurz vor der Zulassung. Beispielsweise erwarten wir, wie schon gesagt, zeitnah die Zulassung für eine CAR-T-Zelltherapie beim fortgeschrittenen multiplen Myelom. Derzeit werden auch T- Zelltherapien in klinischen Studien getestet, bei denen die T-Zellen genetisch mit einem T-Zell-Rezeptor ausgestattet werden. Das allgemeine Wirkprinzip ist ähnlich und könnte insbesondere einen Vorteil bei sogenannten soliden Tumoren wie dem Lungenkarzinom oder dem schwarzen Hautkrebs haben. Auch andere Therapien unter Verwendung von T-Zellen, die aus dem Tumor gewonnen wurden, werden derzeit in klinischen Studien untersucht – und zeigen zum Teil beachtliche Ansprechraten.

Was genau passiert aktuell in der Forschung?

Die Forschung versucht derzeit verschiedene Herausforderungen anzugehen: Ein Ziel stellt eine möglichst optimale Anpassung der Therapie an die individuelle Tumorerkrankung dar. Hierzu können T-Zellen auf verschiedene Arten mittels weiterer genetischer Veränderungen optimiert werden. Darüber hinaus versucht man mit Kombinationstherapien das Ansprechen zu verbessern. Ein weiteres Ziel ist es, den großen Aufwand, den diese Therapien mit sich bringen, zu reduzieren. Das kann etwa durch Fremdzellen erfolgen, die auf Vorrat für verschiedene Patient*innen hergestellt werden können – aktuell sind solche Ansätze jedoch häufig noch sehr experimentell und müssen sich im klinischen Einsatz erst bewähren. Am Klinikum rechts der Isar und der TUM gibt es sehr aktive Forschungsteams, die auf verschiedene Arten versuchen, die spezifischen T-Zelltherapien zu verbessern.

Warum sind solche Verfahren derart aufwändig?

Aus verschiedenen Gründen: Für jeden Patienten und jede Patientin muss ein eigenes Zell-Produkt hergestellt werden. Die T-Zellen müssen den Patient*innen am Klinikum entnommen werden, nachfolgend werden sie entweder eingefroren oder gleich frisch zum weiterverarbeitenden Zentrum in Europa oder in den USA transportiert. Dort wiederum startet ein weiterer Prozess, der ungefähr zwei Wochen Zeit in Anspruch nimmt. Die T-Zellen werden mit Hilfe von Virusbestandteilen genetisch verändert – und die Gene für den sogenannten CAR in die Zellen eingebracht. In manchen Fällen reichert man noch bestimmte Zelltypen der T-Zellen zuvor an, um sie gezielt zu modifizieren. Nach der genetischen Veränderung erfolgt eine Vermehrung der Zellen. Diese friert man dann – nach vielen „Waschschritten“ – wieder ein. Während der ganzen Prozedur werden vielfach Kontrollen durchgeführt, um sicherzustellen, dass keine Verunreinigungen ins Zellprodukt gelangt sind. Nach umfassender Prüfung kommt das Produkt dann wieder zum Klinikum zurück und die genetisch veränderten T-Zellen werden nach einer vorbereitenden Chemotherapie den Patient*innen verabreicht.

Bietet jede Klinik eine CAR-T-Zelltherapie an?

Nein, diese Therapie kann nur an ausgewiesenen spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Voraussetzungen sind ein sogenanntes Apherese-Zentrum mit entsprechender Herstellungserlaubnis. Und: die Erfüllung umfassender struktureller Qualitätsanforderungen in der Klinik – einschließlich der Bereitstellung vieler Fachdisziplinen, um mögliche Nebenwirkungen optimal behandeln zu können. In der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III wird sowohl die Zellsammlung als auch die spätere Behandlung der Patient*innen in einem Team durchgeführt. Darüber hinaus wird die Klinik von vielen Fachdisziplinen, insbesondere der Intensivmedizin, Kardiologie, Neurologie und Neuroradiologie in der Behandlung der Erkrankten unterstützt. Dieser enorme Aufwand macht die Therapie auch relativ teuer: Die Kosten für eine CAR-T-Zelltherapie starten derzeit ab 275 000 Euro. Das Universitätsklinikum rechts der Isar ist aktuell für eine CAR-T-Zelltherapie zertifiziert, zwei weitere Zertifizierungsprozesse stehen kurz vor dem Abschluss. Darüber hinaus sind klinische Studien mit genetisch modifizierten T-Zellen und anderen Zell-Therapien in der Vorbereitung, die bei verschiedenen bösartigen Erkrankungen geprüft werden.

 

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