Corona als globale Herausforderung

Corona als globale Herausforderung

Prof. Dr. Juliane Winkelmann ist Fachärztin für Neurologie, Inhaberin des Lehrstuhls für Neurogenetik an der Technischen Universität München (TUM) und seit 2015 Direktorin des Instituts für Neurogenomik am Helmholtz Zentrum München. An der Neurologischen Klinik des Klinikums rechts der Isar leitet Sie die Sektion Neurogenetik. Ihr Text über die Folgen der Coronakrise für Afrika ist auch im TUM-Sammelband "Denkanstöße für die Zeit nach Corona" (kostenloser Download) erschienen.

Juliane Winkelmann, Professorin für Neurogenetik der TUM und Leiterin der Sektion für Neurogenetik am Klinikum rechts der Isar

Juliane Winkelmann, Professorin für Neurogenetik der TUM und Leiterin der Sektion für Neurogenetik am Klinikum rechts der Isar

Wir lesen viel von den Folgen der Corona-Krise in Europa, Amerika und Asien: Rekordarbeitslosenzahlen, überlastete Gesundheitssysteme, Zehntausende von Toten und ganze Wirtschaftszweige, die komplett zum Erliegen gekommen sind. In bisher nicht gekanntem Ausmaß reagieren Industrienationen auf die Krise und stützen mit milliardenschweren Konjunktur- oder Beschäftigungsprogrammen ihre Wirtschaft. Die EU stellt Rettungspakete zur Unterstützung ihrer Gemeinschaft nach Corona auf. Und Afrika?

Die berichteten Zahlen von Infizierten und Toten scheinen vergleichsweise gering. Es scheint so, dass sich die Pandemie in Afrika langsamer ausbreitet und es bleibt zu hoffen, dass die Zahlen deutlich hinter so mancher Prognose zurückbleiben. Afrika hatte bei über 17 Prozent der Weltbevölkerung im Sommer 2020 nur zwei Prozent der bestätigten Covid-19-Fälle. Auch wenn die eigentlichen Zahlen höher sind, da es in einigen Ländern vergleichsweise geringe Testkapazitäten gibt und sich die Pandemie aufgrund des niedrigeren Reiseaufkommens in Afrika langsamer ausbreitet, mag man sich kaum vorstellen, wie sich die Krise dort auswirken wird, wo in normalen Zeiten schon Mangel an der Tagesordnung ist. Bereits heute spürt Afrika die Konsequenzen:

Coronakrise trifft Afrika wirtschaftlich schwer

Einnahmequellen wie Tourismus sind weggebrochen, Rohstoff- und Energieexporte, die für einige afrikanische Länder die Haupteinnahmequelle bilden, bringen nur noch einen Bruchteil der üblichen Erträge, Hungersnöte drohen, da Felder in Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten nicht bestellt werden dürfen. Harte Maßnahmen, die eigentlich zum Schutz der Bevölkerung konzipiert werden, treffen nicht zuletzt die wirtschaftlich Schwächsten.

Gerade in diesen extremen Zeiten ist es wichtig, dass die Industrienationen nicht nur an sich und in nationalstaatlichen Kategorien denken, sondern die Krise als globale Herausforderung begreifen und ihre Partnerschaft mit Afrika auf eine nachhaltige Basis stellen. Die Technische Universität München (TUM), die seit mehreren Jahren ihr Engagement in Afrika konzertiert ausbaut und die Beziehungen zum Kontinent in ihrer erfolgreichen Exzellenzstrategie verankert hat, hat sich Nachhaltigkeit als ein Grundprinzip in ihre Afrika-Strategie geschrieben. Unsere Partnerschaft für Innovation und nachhaltige Entwicklung mit der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) im westafrikanischen Ghana basiert auf einer gemeinsamen Vision, die Wissenschaft und Technologie eng mit Innovation und Entrepreneurship verbindet und so eine Brücke von der Universität in die Gesellschaft schlägt, um nachhaltige Entwicklung anzuregen. Als erfolgreichste Gründerhochschule Deutschlands ist die TUM hier in besonderer Weise befähigt, gemeinsam mit der KNUST Innovationen auf den Weg zu bringen, die nachhaltige Veränderungen vor Ort in Themenfeldern wie Wasser, Ernährung, Energie, Stadtentwicklung, Mobilität und Medizin bewirken. Wie sehr die TUM dabei auf eine langfristige und nachhaltige Partnerschaft setzt, zeigt ein Projekt von TUM-Professor und Architekt Francis Kéré: Gemeinsam mit seinem afrikanischen Kollegen, Prof. Rexford Oppong, plant er den Bau eines Cooperation Center an zentraler Stelle auf dem Campus der KNUST, in dem Aktivitäten gebündelt und der Partnerschaft auf Dauer hohe Sichtbarkeit gesichert werden können. Auch im Bereich der Covid-19-Forschung arbeitet die TUM mit der KNUST zusammen. Prof. Gil Westmeyer entwickelt einen diagnostischen Schnelltest, der mit Kollegen von der KNUST weiter validiert und zugelassen werden soll, damit er dezentral in afrikanischen „Point of care“ Zentren angewendet werden kann.

Nachhaltigkeit steht aber an der TUM nicht nur für Themen, Inhalte und Strukturen in ihrer Partnerschaft mit der KNUST. Langfristigen Erfolg für unsere Partnerschaft sichern wir auch dadurch, dass wir ihr eine breite Basis schaffen und alle Interessensgruppen an KNUST, TUM und darüber hinaus miteinbeziehen. Von Studierenden und Promovierenden über wissenschaftliche Mitarbeiter und Professoren bis hin zu Verwaltungsangehörigen und Alumni: sie alle bringen sich mit Einsatz, Begeisterung und Ideen für diese besondere Partnerschaft ein. Und wir erweitern ständig unsere Kreise. In regem Austausch mit Industrie, Mittlerorganisationen und Ministerien auf Bundes- und Länderebene suchen und finden wir Unterstützer, die vor den Herausforderungen Afrikas nicht zurückschrecken und das Potenzial der Zusammenarbeit erkennen.

Nachhaltigkeit in der Kooperation

Denn eines ist klar: Nachhaltigkeit in der Kooperation kann und wird nur dann funktionieren, wenn Zusammenarbeit einen Mehrwert auf beiden Seiten schafft. Statistiken belegen Afrikas Potenzial in deutlichen Zahlen, auch wenn unser Denken heute oft noch geprägt ist von Jahrzehnten der Berichterstattung mit einem Fokus auf Hungersnöten, Krankheiten und Bürgerkriegen. 2035 wird Afrika mit geschätzt 1,1 Milliarden Menschen im erwerbsmäßigen Alter das größte Arbeitskräftepotenzial weltweit haben (BMZ 2017), bis zum Ende des Jahrhunderts werden voraussichtlich 13 der 20 größten Städte weltweit in Afrika liegen (die übrigen in Asien) – aber keine davon in Amerika, China oder Europa (WEF 2017). Schon heute liegen etwa die Hälfte der 20 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Afrika, darunter Äthiopien, Ruanda, Senegal und Ghana (IMF 2019). Aber nicht nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist Afrika ein wichtiger Partner. Wir können von der afrikanischen Perspektive auch viel über auch in Zukunft wichtige globale Fragestellungen lernen, die geprägt sind von anderen Sozialstrukturen, klimatischen Bedingungen, technologischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Es wäre daher fahrlässig, wenn die Corona-Krise dazu führt, dass sich die Industriestaaten zunehmend auf sich selbst konzentrieren. Die Verlierer wären langfristig auf beiden Seiten.

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